- Kommentare
- Asylpolitik
Der nächste Kompromiss
Leo Fischer über ein Land, das man guten Gewissens als Asylland empfehlen könnte
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten! Glühbirnen gehen nicht mehr nach einem halben Jahr kaputt, Dienstfahrräder dürfen jetzt auch privat genutzt werden, und bei Rewe gibt es keine Plastiktüten mehr - nur mehr Fertigsalate, die aus zwölf verschiedenen Plastikbechern und -folien zusammengelötet sind.
Außerdem, und diese Nachricht wird jetzt doch einige überraschen, wird die Welt ständig sicherer! Jedenfalls, wenn es nach der Bundesregierung geht. Vier weitere Staaten - die Maghreb-Länder Marokko, Tunesien und Algerien sowie Georgien - sind auf die sich seit 1993 stetig verlängernde Liste »sicherer Herkunftsländer« geraten. Bei diesen Staaten nimmt der Gesetzgeber an, dass dort grundsätzlich keine politische Verfolgung, unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. So sollen Asylanträge aus diesen Ländern noch schneller abgelehnt werden können.
Dass dort keine Verfolgung stattfindet, glaubt natürlich auch in den Regierungsfraktionen ernsthaft niemand; zwei Klicks zur Menschenrechtslage in diesen Ländern schaffen hier schnell Klarheit. Aber diese Frage ernst zu nehmen, müsste bedeuten, das Menschenrecht auf Asyl grundsätzlich ernst zu nehmen, und das will ja in Wirklichkeit auch niemand. Auch nicht die FDP, deren Freiheitsbegriff schon bei der Freizügigkeit endet und die deshalb die lachhafte Liste zusammen mit der AfD noch verlängern möchte; nicht die Grünen, die sich jetzt zwar oppositionell gebärden, aber überall, wo sie regieren, jeden noch so schäbigen »Asylkompromiss« mitgetragen haben. Da ihnen im politischen Betrieb nun die Rolle zukommt, die früher die SPD hatte, ist es ihre Aufgabe, sich hier eine Weile zimperlich zu geben und dann schweren Herzens weichklopfen zu lassen. Man kann sich hier auf sie verlassen: Kein Geringerer als Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat 2014 drei Balkanstaaten die Generalabsolution erteilt, natürlich mit den dabei chronischen »Bauchschmerzen«.
Die Liste der Staaten, die die Grünen für sicher halten, dürfte mit denen identisch sein, in denen sie auch als kritische Konsumenten noch Urlaub machen können, wenn sie nur ein, zwei Augen zudrücken und nicht allzu viele Nachrichten lesen. Es sind jedenfalls nicht die Länder, deren Namen fallen, wenn, wie in letzter Zeit immer häufiger, im jung-urbanen und letztlichirgendwiegrünen Milieu übers Auswandern aus politischen Gründen nachgedacht wird. Die Liste der Länder, in die man noch auswandern könnte, wird jedenfalls nicht länger.
Aber natürlich verschiebt sich die Definition, was sicher ist, sehr kommod, wenn man sich selbst als Maßstab einsetzt. Ist Deutschland ein sicheres Herkunftsland? Nach den fortgesetzten Skandalen über rechtsradikale Netzwerke bei nahezu allen Organen staatlicher Gewalt kann man diese Frage mit ganz unverbrauchter Neugier stellen. Soldaten, die Todeslisten führen; Polizisten, die im Ku-Klux-Clan sind - so etwas können nur Leute als Marginalien abtun, die sich sicher sein dürfen, ohnehin nicht in deren Fokus zu stehen. Ein Verfassungsschutz, der die AfD nun beobachtet, weil sie Hans-Georg Maaßens Tipps für ein unauffälliges Verhalten nicht ausreichend umgesetzt hat, mag hier auch wenig Beruhigung stiften; ebenso wenig wie die Medien, die dem Bundeswehrskandal über Wochen mit eisigem Schweigen begegneten - die Reaktion, die er in den meisten Redaktionen als erstes ausgelöst haben dürfte, wird »Ist doch nichts Neues« gewesen sein.
So sieht es aus in Deutschland. In dem Land aber, von dem die meisten Deutschen irrigerweise annehmen, es zu bewohnen, würde man gerne Asyl suchen können.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.