Habeck lässt das Twittern sein

Nach einem Fauxpas verabschiedet sich der Grünen-Vorsitzende von zwei Internetdiensten

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Frankfurt an der Oder wollen die Grünen vor allem positive Dinge verbinden. Ihre Vorstandsklausur am Montag und Dienstag in der brandenburgischen Stadt soll der gelungene Auftakt für dieses Jahr sein, in dem drei Landtagswahlen im Osten stattfinden werden. Zuletzt sah es in allen Umfragen so aus, als ob die Grünen hier Erfolge feiern sollten. Trotzdem war die Stimmung bei der Klausur getrübt. Bundeschef Robert Habeck hatte nämlich am Sonntag ein peinliches Statement verbreitet. In einem von den Thüringer Grünen veröffentlichten Video sagte er mit Blick auf die im Oktober geplante Wahl im Freistaat: »Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.«

Das konnte durchaus so verstanden werden, dass das seit einigen Jahren von Rot-Rot-Grün regierte Thüringen nach Ansicht von Habeck unfrei und undemokratisch sei. »In welchem Gefängnis habe ich die letzten Jahrzehnte gelebt?«, fragte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider ironisch im Kurznachrichtendienst Twitter. Ähnlich reagierten auch andere Politiker. Die Thüringer Grünen löschten daraufhin den Twittereintrag mit dem Video und teilten mit, dass viele den Parteichef falsch verstanden hätten. »Thüringen soll noch grüner und ökologischer werden«, schrieb der Landesverband.

Habeck rechtfertigte sich umgehend auf seinem Blog. Das Video wirke, »als würde ich Thüringen absprechen, weltoffen und demokratisch zu sein. Was ich natürlich null tue.« Im Radiosender Bayern 2 äußerte er sogar Selbstkritik. »Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht, wie mir so etwas passieren kann«, berichtete Habeck. Er könne nicht abstreiten, »dass das super bescheuert war, was ich da gesagt habe«.

Nun will Habeck seine Konten auf Facebook und Twitter dichtmachen. Das liegt nicht nur an den spöttischen Reaktionen auf seine Wahlkampfäußerung. Der Grüne erinnerte zudem daran, dass kürzlich private Informationen im Zuge des groß angelegten Datendiebstahls über Twitter verbreitet worden waren.

Für den Wahlkampf der Grünen in Thüringen - aber auch in Brandenburg und Sachsen - könnte das Video von Habeck mit seinen überheblichen Äußerungen negative Folgen haben. Die Partei erreicht in diesen Bundesländern traditionell weitaus schlechtere Ergebnisse als in ihren Hochburgen im Westen sowie in Berlin. Sie schaffte es in den drei Ostländern zuletzt knapp über die Fünfprozenthürde. Am besten schnitten sie im Jahr 2014 in Brandenburg mit 6,2 Prozent der Stimmen ab. Nun hoffen die Grünen, dass der bundesweite Höhenflug ihnen auch im Osten zweistellige Ergebnisse beschert.

Spitzenpolitiker der Grünen haben in Wahlkampfzeiten ihre Liebe für den Osten entdeckt. Die aus Thüringen stammende Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte kürzlich in einem Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe: »Die Bundesregierung muss sich verpflichten, ab sofort jede neue Bundesbehörde und jede neue Forschungseinrichtung in Ostdeutschland anzusiedeln.« Zurückhaltender äußerte sich Göring-Eckardt zum Mindestlohn. Der Lebensstandard müsse gesichert und Armut vermieden werden. Andererseits stellte die Grünen-Politikerin klar, dass sie bei der Höhe des Mindestlohns nicht »in den Überbietungswettbewerb von SPD und Linkspartei einsteigen« werde. Einige Sozialdemokraten sowie die LINKE fordern eine Erhöhung des Mindestlohns von derzeit 9,19 Euro auf 12 Euro.

Die Grünen bleiben in ihren Ankündigungen möglichst wolkig. Das galt auch für ein Statement von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner vor der Klausur. »Wir müssen Eigentumsbildung in Ostdeutschland gezielt unterstützen - finanziert etwa durch eine Reform der Erbschaftsteuer«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Bei der Klausur der Grünen geht es neben den Landtagswahlen auch um die Vorbereitung der Europawahl im Mai. Die Ko-Parteivorsitzende Annalena Baerbock erzählt bei öffentlichen Veranstaltungen immer wieder, dass sie im Mai 2004 dabei war, als auf der Oderbrücke, die Frankfurt mit dem polnischen Slubice verbindet, die Osterweiterung der EU gefeiert wurde.

Am Montag standen erneut Mitglieder des Vorstands der Grünen und die Europa-Spitzenkandidaten Ska Keller und Sven Giegold auf dieser Brücke. Sie präsentierten vor Fotografen und Kameraleuten grüne Schilder mit goldenen Europasternen, auf denen Begriffe wie »Freiheit«, »Demokratie« und »Unia Europejska« (Polnisch) standen. In einem Papier schreiben die Grünen: »Frieden, Sicherheit und Wohlstand gibt es nicht im Nationalen.« Ein Demokratiedefizit, das Habeck zwischenzeitlich in Thüringen ausmachte, konnten die Grünen auf EU-Ebene offensichtlich nicht erkennen.

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