Die Tür des Verkehrsministers

Stephan Fischer über stillgelegte Bahnstrecken in Ost und West

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Jahreswechsel sind Zeiten der Rückblicke, Ausblicke und Wünsche. Ich bin dem Verkehrsinfarkt bisher entgangen und gehöre damit zu den glücklichen Pendlern. Bahnstrecken im Osten des Landes sind gemeinhin nicht so störanfällig wie jene im Westen Deutschlands oder gar in den dortigen großen Ballungsräumen. Zum einen gibt es auf diesen schlicht nicht so viel Verkehr. Zum anderen sind sie im Großen und Ganzen in einem besseren Zustand, da ihre letzte Grundinstandsetzung, Sanierung oder gar der komplette Neubau erst nach 1990 erfolgte.

Stephan Fischer pendelt. Die zurückgelegte Entfernung reicht pro Woche von Berlin bis fast auf die Lofoten und zurück, manchmal fühlt es sich an wie Paris – Rom – Erkner. Seine Erfahrungen beim Fahren: dasND.de/eingependelt
Stephan Fischer pendelt. Die zurückgelegte Entfernung reicht pro Woche von Berlin bis fast auf die Lofoten und zurück, manchmal fühlt es sich an wie Paris – Rom – Erkner. Seine Erfahrungen beim Fahren: dasND.de/eingependelt

Aber wie so vieles hat diese Zustandsbeschreibung natürlich auch ihre Schattenseite: Die Strecken, die in einem bedauernswerten Zustand sein könnten - die gibt es im Osten des Landes nicht mehr. Stillgelegt dienen sie im besten Falle noch als bitumenversiegelter Fahrradweg für Touristen in irgendeinem verkehrlichen Sinne - einen Beitrag zur Verkehrswende im 21. Jahrhundert können sie nicht mehr leisten. Man betrachte einmal Eisenbahnkarten von 1960, 1990 und heute. Ganze Landstriche sind heute völlig ohne Bahnverkehr. Die Klein- und Nebenbahn der 1960er Jahre mag in den Vorstellungen des Verkehrs für 2060 anachronistisch erscheinen - in der Realität von 2019 hat das Abschneiden ganzer Landstriche vom Bahnnetz aus rein monetären Erwägungen reale Folgen. Es erstaunt, wenn in den Sonntagsreden über die Kluft zwischen Stadt und Land die Begriffe »ärztliche Versorgung«, »Einkaufsmöglichkeiten« und »schnelles Internet« fallen - dabei aber ein Netzwerk, das es in vielen Fällen bereits gab und das zuverlässig Zugang zu Ärzten, Einkaufsmöglichkeiten und Informationen ermöglichte - die Eisenbahn -, so gut wie nie erwähnt wird. Die geistige Transferleistung, dass ein Gefühl des Abgehängtseins, das zu verschiedensten Formen der Verbitterung führen kann, die sich auch in Wahlergebnissen niederschlägt, vielleicht auch mit geschlossenen Bahnhöfen und Strecken zu tun hat - vielleicht ist sie eine zu schwierige Leistung.

Oder ganz einfach eine Frage von Prioritätensetzung. Gesellschaftlicher Zusammenhalt lässt sich eben schwerer in Euro beziffern als das Defizit, das eine Nebenstrecke einfährt. Schließen ist da einfacher - und »Sparen, bis es quietscht« galt einmal als respektable Politik. Nun quietscht es überall. Mein kleiner Wunsch für 2019 wäre, dass die Bahn eine bestimmte automatische Tür in einem bestimmten Wagen repariert, die seit Monaten zuverlässig das morgendliche Dösen verunmöglicht, da sie sich ab einer bestimmten Schräglage des Wagens selbstständig in Bewegung setzt, auf- und zugeht und dies erst einstellt, wenn wirklich alle im Wagen wach sind. Man könnte die Tür auch einfach austauschen und dieses besondere Exemplar als neue Bürotür für den Verkehrsminister zur Verfügung stellen.

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