Willkommen Zuhause, hier geht’s zur Polizei!

Über das neue Berliner Ankunftszentrum

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 2 Min.

Es klingt zunächst wie eine gute Nachricht: Berlin baut im Norden der Stadt ein neues Ankunftszentrum für Flüchtlinge, das die Notunterkunft auf dem alten Flughafen Tempelhof ablösen soll. In dessen Hangar harren zurzeit Hunderte Menschen teils wochenlang unter menschenunwürdigen Bedingungen aus und warten auf ihre Anhörung. Besser als die riesigen Flugzeuggaragen mit ihren nach oben offenen, beengten und türenlosen Schlafkabinen mit zwei Quadratmetern pro Person ohne jede Privatsphäre ist das geplante Ankunftszentrum allemal. Bisher ist es für die teils schwer traumatisierten Schutzsuchenden mitten im Dauerlärm und ohne Rückzugsort nahezu unmöglich, sich in Ruhe auf ihr Asylverfahren vorzubereiten.

Nun soll also auf dem Gelände einer ehemaligen Nervenklinik in Reinickendorf bis Ende 2019 Ersatz entstehen. Rund 400 Menschen sollen in der geplanten Modularen Unterkunft Platz haben, bei Bedarf kann auf 540 Plätze erhöht werden. Wohnheim statt Wohnbox, immerhin. Klingt also erst mal gar nicht so schlecht - ist es aber. Denn auf dem Gelände sollen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch die Polizei und die Verwaltung des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten untergebracht werden. Im neuen Ankunftszentrum sollen die Schutzsuchenden dann gleich auch registriert, polizeilich überprüft und medizinisch untersucht werden. Klingt verdächtig nach Ankerzentrum, auch wenn der Berliner Staatssekretär für Integration Daniel Tietze (LINKE) das weit von sich weist und die Geflüchteten ihren Asylantrag (noch) woanders stellen. So oder so kommen die gerade angekommenen Flüchtlinge unter diesen Bedingungen kaum zur Ruhe. Nach dem Motto: »Willkommen Zuhause, hier geht’s zur Polizei!«

Immerhin soll es in dem geplanten Ankunftszentrum eine unabhängige Asylverfahrensberatung geben. Doch auch hier steckt der Teufel im Detail: Eine individuelle Rechtsberatung soll dort explizit nicht erfolgen, dabei gehört diese zur Anhörungsvorbereitung zwingend dazu. Entsprechend werden auch nur Sozialarbeiter*innen gesucht, ganze drei an der Zahl. Dass dies ausreicht, um den Bedarf zu decken, darf bezweifelt werden. Ebenso wie die Annahme, dass die Unterkunft wirklich innerhalb eines Jahres fertiggestellt wird. Berlin ist mit seiner BER-Dauerbaustelle schließlich nicht gerade für seine schnellen Bautätigkeiten bekannt. Doch selbst wenn es wider Erwarten gelingen sollte, bedeutet das, dass die zurzeit 700 monatlich in Berlin ankommenden Asylsuchenden ein weiteres ganzes Jahr in Tempelhof untergebracht werden. Warum der Hangar nicht, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, sofort geschlossen wird und die Geflüchteten auf bestehende Erstaufnahmeeinrichtungen mit freien Kapazitäten - und die gibt es - verteilt werden, ist ebenso unerklärlich wie die Tatsache, dass Berlin als einziges Bundesland trotz der gesunkenen Zugangszahlen Asylsuchender überhaupt noch Notunterkünfte betreibt.

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