Im Banne des Vergangenen

Wiedergänger mit Glanz und Glamour: Korngolds »Die Tote Stadt« an der Komischen Oper

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Gerade hat die Deutsche Oper für ihre Ausgrabung von Erich Wolfgang Korngolds Oper »Das Wunder der Heliane« beim Jahresranking der Zeitschrift »Opernwelt« abgesahnt. Aus einer ziemlich verqueren Story hatte Christoph Loy eine Geschichte herausgeschält, die in den Bann zog und deren Interpreten durchweg begeisterten. Jetzt hat die Komische Oper mit Korngolds »Toter Stadt« nachgezogen. Eigentlich ist das ein risikoarmer, sicherer Griff in die Trickkiste mit Werken des immer noch stiefmütterlich behandelten Richard-Strauss-Konkurrenten. Wobei es der 1920 zeitgleich in Köln und Hamburg uraufgeführte Wurf des damals 23-jährigen längst als Wunderkind etablierten Komponisten in den letzten Jahren wieder zurück ins Repertoire geschafft hat.

Korngolds Karriere endete in Deutschland mit dem zur Staatsdoktrin gewordenen Rassismus der Nazis. Er ging in die USA und nahm sich der Entwicklung der Filmmusik in Hollywood an. Mit der metaphorischen toten Stadt ist das reale Brügge gemeint und dessen symbolistische Überhöhung im Roman »Bruges-la-Morte« von Georges Rodenbach, aus dem Korngolds Vater unter Pseudonym das Libretto geschrieben hat: Als dem trauernden Witwers Hugues Viane die lebenslustige Marietta über den Weg läuft, die seiner toten Frau Marie ähnelt, wird sie für ihn eine Art Wiedergängerin. Die junge Tänzerin, die hier einbricht, kann natürlich dem Vergleich mit der Toten nicht standhalten. Es geht soweit, dass Paul sie erwürgt - was sich allerdings als ein Tagtraum herausstellt. Denn in der letzten Szene sieht wieder alles aus wie zu Beginn. Samt der Haushälterin Brigitta, die den Besuch jener jungen Frau ankündigt, von der man zwischendurch mal befürchten musste, dass sie die Begegnung mit Paul nicht überlebt hat. Sie hat. Sie könnte seine Rückfahrkarte ins Leben sein.

Basel, Magdeburg, Dresden, Hamburg … der Vergleichsmöglichkeiten der Korngold-Aufführungen sind viele. Da hat es die jüngste Produktion an der Komischen Oper schwer, wirklich standzuhalten. Und das, obwohl Barrie Kosky mit dem Kanadier Robert Carsen einen international gesuchten Regiestar eingeladen und Sara Jakubiak für die weibliche Hauptrolle der Marietta engagiert hat. Ein Problem ist aber überraschenderweise die Regie: Es ist ein Carsen von der Stange geworden, mit einigen Ingredienzien, die für die Komische Oper typisch sind - also flotte Balletteinlagen und eine Dosis Glanz und Glamour. Hier mit einem Auftritt, bei dem Marietta auf dem Kronleuchter durch die Decke einschwebt. Dazu waren die Wände des entstehungszeittypischen, aber als Raum ins Riesenhafte ausgedehnten Schlafzimmers gleichsam auseinander geflogen.

Da hatte sich die »Kirche des Gewesenen«, wie Paul den Raum der krankhaft übersteigerten Erinnerung an seine verstorbene Frau nennt, spaltweise zur Welt hin geöffnet und Maries äußerliche Wiedergängerin Marietta und mit ihr das pralle Leben eindringen lassen. Für Paul, dem Ales Briscein mit Dauerhochdruck beizukommen versucht, ist diese lebendige Welt aber Ursache für Kopfschmerzen. Immer wieder hält er sich verkrampft die Schläfen, weil er das Leben nicht wirklich aushält. Carsen erzählt die Geschichte gleichsam realistisch, in einem ins großbürgerliche vergrößerten Raum mit aufs kleinbürgerliche verkleinerten Akteuren - Paul immer in seinem grauen Businessanzug, Marietta am liebsten in Unterwäsche. Als sie sich Paul zu weit annähert und mit seiner wichtigsten Reliquie, den Haaren seiner toten Frau, spielt, erwürgt er sie. Am Ende sind die Haar-Reliquie, sein Freund Frank und Haushälterin Brigitta nur noch für ihn - nicht mehr für die Zuschauer - wirklich vorhanden. Wenn die beiden am Ende doch noch auftauchen haben sie weiße Kittel an und Paul folgt ihnen widerstandslos, wohin auch immer. Viel weiter als mit dieser dialektischen Pointe am Ende geht Regisseur Robert Carsen nicht über eine realistische Bebilderung der Geschichte hinaus.

Das Publikum applaudierte am Ende einhellig - wie echte Korngold-Begeisterung klingen kann, war dann aber doch beim Wunder der Heliane zu erleben gewesen. In Sachen Korngold bleibt die Deutsche Oper der Berliner Sieger.

Nächste Aufführungen am 31. Oktober, 18. und 28. November.

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