High-Tech-Schummelei bei Führerscheinprüfungen
TÜV fürchtet, dass die Zahl der täuschenden Fahrschüler in die Tausende geht
Warum viel für die theoretische Prüfung lernen, wenn es einfacher geht? »Wir haben etwas für dich, was dir helfen kann«, verspricht ein Onlineshop auf seiner Internetseite. Weiter heißt es in holprigem Deutsch: »Mit unserer professionellen Kameraausrüstung und Spy Ear Spicker System ist es möglich, einen Führerscheintest oder Uniprüfung zu spicken, ohne dass es jemand bemerkt.« Arne Böhne vom TÜV Rheinland sagt: »Hochgerechnet auf Deutschland schätzen wir, dass rund 1600 solche Fälle pro Jahr bei Fahrerlaubnisprüfungen aufgedeckt werden. Vor 20 Jahren, als wir noch nicht diese ausgefeilte Technik hatten, gab es vielleicht nur ein Zehntel so viele Fälle.« Hinzu komme eine hohe Dunkelziffer von nicht ertappten täuschenden Prüflingen - sie könnte jedes Jahr in die Tausende gehen.
Das ist die Masche: Eine Kamera im Knopfloch, winzig wie ein Stecknadelkopf, überträgt die auf einem Bildschirm auftauchenden Fragen an einen Hintermann draußen in einem Auto, dieser sagt die richtigen Antworten dem Prüfling über einen Mini-Ohrstöpsel vor.
Die Polizei in Nordrhein-Westfalen berichtete von einer jungen Frau, die mit der Methode aufflog, ohne dass ihre Spezialtechnik von außen sichtbar gewesen sei: »Der Ohrstöpsel steckte so tief im Ohr, dass dieser nur mittels der Hilfe eines HNO-Arztes entfernt werden konnte.« Immer wieder melden Polizeistellen aufgedeckte Manipulationen dieser Art, so in Hachenburg im Westerwald. Nachdem er aufflog, »konnte der 21-Jährige keine Frage mehr richtig beantworten«, hieß es. Der Vorsitzende des Fahrlehrerverbands Rheinland in Koblenz, Joachim Einig, geht von 500 bis 5000 Euro aus, die täuschende Prüflinge für das Equipment und die Komplizen mit den korrekten Antworten zahlen. Mehr als 1000 verschiedene Fragen seien in der Theorieprüfung möglich. »Davon kommen etwa 30 dran. Dafür gibt es eine Stunde Zeit.«
Viel zu befürchten haben täuschende Prüflinge nicht: Ihr Vorgehen ist weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit. Fahrlehrer und Rechtsanwalt Böhne vom TÜV Rheinland in Köln sagt: »Diese Leute können maximal sechs Monate gesperrt werden vor der nächsten Prüfung.« Diese könne mit besonderer Beobachtung und einzeln organisiert werden. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände in Berlin, Dieter Quentin, verweist auf das Verkehrsrisiko, wenn Autofahrer unterwegs seien, ohne alle Regeln zu kennen. »Wir fordern, dass man hier einen Straftatbestand schafft.«
Denkt der Bund darüber nach - oder zumindest über die Einstufung als Ordnungswidrigkeit? »Solche Überlegungen gibt es bislang im Bundesjustizministerium nicht. Inwieweit Täuschungen bei Prüfungen unter konkreten Einzelfallumständen strafbar sind, hätten Staatsanwaltschaften und Gerichte zu beurteilen«, teilt das Justizministerium in Berlin mit.
Die Sprecherin des rheinland-pfälzischen Verkehrsministeriums, Susanne Keeding, sagt, wenn solche Täuschungen strafbar würden, könnten rechtlich auch spickende Schüler in der Abiturprüfung zu Straftätern werden. Täuschende Fahranfänger in der Theorie hätten noch die praktische Prüfung zu bestehen, wo Kenntnisse der Verkehrsregeln ebenfalls gefragt seien. Darüber hinaus werde zwar die Technik zum Täuschen immer besser - aber auch die Technik zum Aufdecken der Schummelei.
Tatsächlich sammeln Prüfer heute oft die Handys aller Prüflinge ein und stellen sich einen Detektor auf den Tisch. »Der rettet aber nicht die Welt«, sagt Böhne. »Der Detektor kann nicht alle Funkfrequenzen abdecken.« Bei Störsendern spiele die Bundesnetzagentur nicht mit. Prüfer dürften Prüflinge auch nicht auf heimliche Technik am Körper untersuchen. dpa/nd
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