Archipel der Kunst
Die Ausstellung »Archipelago« zeigt Arbeiten der Künstlerinnen von »Goldrausch« in den Reinbeckhallen
Eine Frau vibriert. In ein goldfarbenes und eng anliegendes Trikot gehüllt betritt Silke Schwarz eine Vibrationsplatte. Das Fitnessgerät unter den Füßen der Künstlerin wirkt wie ein Sockel. Ihr Körper wird durch die Bewegungen der Platte permanent erschüttert. Sie leistet Widerstand gegen die Kraft von unten und schreibt auf ihr goldenes Kleid die Frage, die wohl immer noch am häufigsten an Künstler und Künstlerinnen gestellt wird: »Und - kannst du davon leben?«.
Schwarz ist aufgefallen, dass Fragen dieser Art selten an Manager oder Banker gerichtet werden. Entscheidet sich jedoch ein Mensch für die Künstlerlaufbahn, sind es oft schon die Eltern, die besorgt die Unterhaltsfrage stellen. »Bei mir fragten sie zuerst noch nicht einmal, ob ich davon leben könne. Es hieß vielmehr: ›Davon kann man doch nicht leben!‹«, erinnert sich Schwarz lachend. Dass die Behauptung des Nicht-Leben-Könnens sich im Laufe ihrer eigenen Karriere in die Frageform verwandelte, stellt also schon einen kleinen Fortschritt dar. Es wird gefragt, nicht gleich geurteilt.
Schwarz’ Arbeit ist als Installation Teil der Jahresausstellung des Künstlerinnen-Förderprojekts »Goldrausch«. Es wurde bereits 1989 gegründet und zielt darauf ab, Künstlerinnen bei der Durchsetzung auf dem Kunstmarkt zu helfen. »Wir laden jedes Jahr 15 Künstlerinnen ein, ein Jahr lang an einem Weiterbildungsprogramm teilzunehmen, in dem es neben dem künstlerischen Austausch auch um Strategien geht, sich als Existenzgründerinnen besser durchzusetzen. Wir organisieren alljährlich zudem die Ausstellung der Stipendiatinnen und produzieren einen Katalog als Präsentationsmöglichkeit auch über die Ausstellung hinaus«, erklärt Projektleiterin Hannah Kruse. Das Weiterbildungsprogramm wird von der Abteilung Frauen und Gleichstellung in der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie dem Europäischen Sozialfonds finanziert.
Wie nötig diese Arbeit immer noch ist zeigte eine Auswertung des letzten »Gallery Weekends« in Berlin, das Ende April über die Bühne ging. Die beteiligten Künstlerinnen verfügten im Schnitt über ein um ein Drittel geringeres Einkommen als ihre männlichen Berufskollegen und haben ein Fünftel weniger Ausstellungsmöglichkeiten. Drei Mal so häufig erleben sie aber im Berufsfeld sexuelle Belästigungen; fast jede dritte Künstlerin musste das erfahren. Das sind Verhältnisse, die erschüttern - auch ganz ohne Vibrationsplattform.
Die künstlerische Qualität der Arbeiten wiederum lässt das Sinnieren über den Gender-Gap in der bildenden Kunst allerdings schnell wieder in den Hintergrund treten, denn die einzelnen Positionen sind sehr souverän.
Die israelische Künstlerin Alma Alloro hat aus Baumwollelementen in allen Grundfarben in konstruktivistischem Stil die großflächige Ansicht einer Textilfabrik zusammengenäht. Material und dargestelltes Objekt gehen hier eine Symbiose ein.
Die Textilfabrik selbst ruft zudem Erinnerungen an prekäre Frauenarbeit und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen in diesem Sektor der globalen Ökonomie herbei. Allora hat daraus eine beeindruckende Videoinstallation gemacht, die von der Kraft der Farben und der Formen lebt.
Bereits am Eingang stechen zwei große Gipsobjekte von Lotta Bartoschewski ins Auge. Die Farbe auf ihnen kommt von der bemalten Verschalung, die die Künstlerin später abnahm. Bartoschewski spielt hier mit Negativ und Positiv, mit Übertragungen, mit Spuren und dem Vergehen überhaupt. Annelies Kamen wiederum stellt in einer Multimedia-Installation Geräusche nach, die in Comics von weiblichen Figuren verursacht werden - ein durchaus humorvoller Kommentar zu Weiblichkeitsbildern in der gezeichneten Populärkunst.
Bei dieser Ausstellung erobern die Künstlerinnen die gewaltige ehemalige Montagehalle des Transformatorenwerks Oberspree mit einer kühnen Geste.
23. September - 14. Oktober, Reinbeckhallen, Reinbeckstr. 17, Schöneweide. Donnerstag bis Sonntag: 14 -19 Uhr
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