Vom Naziseebad zur Geldanlage
Im mecklenburg-vorpommerschen Prora steigt die Nachfrage nach Ferienwohnungen. Doch auch an die Historie soll weiter erinnert werden
Fast 20 Jahre hat Christian Schmidt diesen Ort auf der Insel Rügen gemieden, wo er bis zum 26. Oktober 1989 als Bausoldat seinen Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee ableisten musste. Erst 2008 kehrt der 56-Jährige nach Prora zurück. Seit 2010 arbeitet er im Dokumentationszentrum, um anderen von der Geschichte des Ortes zu erzählen, die für mehr als ein Jahr auch seine war.
1936 begann die Deutsche Arbeitsfront (DAF) an der bis dahin unberührten Ostseeküste nördlich von Binz mit dem Bau einer gigantischen, 4,5 Kilometer langen Ferienanlage, dem »Seebad der 20 000«. Der in Stein geformte, uniforme Größenwahn war ein großes Propaganda-Instrument der Nazis. Zwei Reichsmark hätte ein Tag Urlaub im Bad der NS-Organisation »Kraft durch Freude« (KdF) gekostet. Doch als der Krieg begann, wurden die Bautrupps abgezogen.
Schmidts persönliche Perspektive auf Prora ist eine andere: Zimmer 415, ein langer Flur, militärischer Drill und das zähe Gefühl von Zeit, die nicht vergeht. An kaum einem anderen Ort ist deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts so greifbar wie hier. Der Nationalsozialismus, die DDR mit einem ihrer größten Militärstandorte und 29 bewegte Nachwendejahre, in denen, so Schmidt, eine Enthistorisierung des Ortes begann.
Die halbwegs erhaltenen 2,5 Kilometer der denkmalgeschützten Riesen-Immobilie sind zu 80 Prozent saniert oder im Umbau. Nachdem sich der Bund seit 2004 für 3,45 Millionen Euro von der Anlage getrennt hatte, entstanden Hunderte Ferien- und Eigentumswohnungen. Und monatlich kommen neue hinzu.
»Prora ist eine Erfolgsgeschichte«, sagt Ulrich Busch, der vor 15 Jahren als Erster das neue Potenzial des Ortes erkannte. Für die ersten beiden Blöcke und 36 Hektar Land in bester Strandlage zahlte Busch 455 000 Euro an den Bund. Für Luxus-Wohnungen zahlen Käufer nun bis zu 7000 Euro pro Quadratmeter. »Die Nachfrage ist ungebrochen.« Eine Sättigung des Marktes sehe er nicht, sagt der Sohn des Arbeiterlied-Sängers Ernst Busch (1900-1980). Als Erholungsort ist Prora zertifiziert. Dies, sagt Busch, sei der erste Schritt zu seinem großen Traum: Prora als Seebad.
Mit der Sanierung der Blöcke schossen die Immobilienpreise in die Höhe. Die Zukunft des Dokumentationszentrums Prora und des Prora-Zentrums, die bislang zwei getrennte Ausstellungen mit den Schwerpunkten NS-Sozialgeschichte und DDR-Geschichte betreiben, wurde angesichts der steigenden Mieten und des Privatisierungsbooms immer ungewisser. Schmidt sagt: »Der Skandal ist nicht, dass der Bund verkauft hat, sondern dass der Bund alles verkauft hat.«
Ein Block ging für einen symbolischen Euro an den Landkreis. Nun soll auch dieser weitgehend aus öffentlicher Hand gegeben werden. Der Kreis Vorpommern-Rügen sieht sich mit der Sanierung finanziell überfordert. Am 1. Oktober wird über den Verkauf entschieden. Knapp 40 Meter des sechsstöckigen Superbaus blieben im Eigentum des Kreises und für die Geschichte reserviert - wenn alles klappt.
Im Januar präsentierten die örtlichen Bundestagsabgeordneten von SPD und LINKE, Sonja Steffen und Kerstin Kassner, eine Machbarkeitsstudie für den Betrieb eines Bildungs- und Dokumentationszentrums - vergleichbar mit dem NS-Reichstagsgelände in Nürnberg und der Ordensburg Vogelsang in der Eifel. Nach jahrelangem Schweigen rangen sich Bund und Land durch, für die Sanierung der sogenannten Liegehalle je 3,4 Millionen Euro bereitzustellen.
Die öffentliche Hand habe die Verantwortung für den Umgang mit dem historischen Ort erkannt, sagt Katja Lucke, die Leiterin des Dokumentationszentrums. »Wir waren noch nie so weit.« Zusammen mit dem Prora-Zentrum wurde ein Dachverein gegründet. Verhandelt wird noch über die Finanzierung der auf etwa 900 Quadratmeter ausgelegten Ausstellung wie auch den Betrieb. Das Privatmuseum »KulturKunstStatt Prora« im Block 3, ein Kaleidoskop der Rügenschen Geschichte von Herrenhäusern, über KdF bis zur NVA, schließt voraussichtlich zum 30. September, sollte der Eigentümer der Immobilie nicht noch Aufschub gewähren. dpa/nd
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