Tatmotiv unklar
Charité: Pussy-Riot-Aktivist wurde wohl vergiftet
In den vergangenen Monaten sorgte die bis heute ungeklärte Vergiftung des Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter Julia für Aufsehen. In der letzten Woche kam ein weiterer Fall dazu.
Pjotr Wersilow, Aktivist der russischen Punkband Pussy Riot, wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit vergiftet. Dies bestätigten die Ärzte der Berliner Charité auf einer eigens anberaumten Pressekonferenz am Dienstag. »Wir gehen von einer jetzt schon fast eine Woche anhaltenden Intoxikation aus«, sagte der Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin, Prof. Dr. Kai-Uwe Eckardt. Die Substanz sei jedoch nicht bekannt. Hinweise auf möglichen Drogenmissbrauch des Patienten schloss er dagegen aus.
Pjotr Wersilow klagte nach einem Gerichtstermin am vergangenen Dienstag plötzlich über Seh-, Sprech- und Bewusstseinsstörungen und begab sich noch am selben Abend zur Behandlung in ein städtisches Krankenhaus.
Nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden der Charité, Prof. Dr. Karl Max Einhäupl, seien auch die russischen Ärzte von einer Vergiftung ausgegangen. In einer Moskauer Spezialklinik wurde Wersilow der Magen entleert und eine Dialyse durchgeführt.
Zu weiteren Untersuchungen wurde er anschließend auf Bitte der Familie nach Deutschland überführt.
Nach Angaben von Einhäupl war dieser Schritt mit der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Allerdings handelte die Charité ausdrücklich nicht auf Anweisung der Bundesregierung. Die Entscheidung für Berlin erkläre sich aus der relativen Nähe zu Moskau. Ein Flug nach Kanada - Wersilow ist kanadischer Staatsbürger - hätte bei dem Zustand des Patienten ein zusätzliches Risiko dargestellt.
In den letzten Tagen hat sich Wersilows Gesundheitszustand deutlich stabilisiert. »Er ist nicht mehr vital gefährdet«, bestätigte Einhäupl. »Wir sind zuversichtlich, dass es zu einer vollständigen Heilung kommen wird.«
Wersilow war Mitglied des linken Künstlerkollektivs Wojna (»Krieg«) und engagiert sich in der Punkband Pussy Riot. Im Juli waren Wersilow und drei weitere Pussy-Riot-Mitglieder beim Finale der Fußballweltmeisterschaft in Moskau in Polizeiuniformen auf das Spielfeld gestürmt, um gegen die Unterdrückung politisch Andersdenkender in Russland zu protestieren. Wegen des Protestes verbüßten sie eine 15-tägige Haftstrafe. Darüber hinaus ist Wersilow Redakteur der Internetzeitung »Mediazona«.
Zwar lassen sich einige Parallelen zur Vergiftung Skripals herstellen. Gemeinsam ist beiden Fällen jedoch, dass hinsichtlich der Tatmotive nach wie vor große Unklarheit herrscht. »Zu dem Vergiftungsvorgang können wir nicht Stellung nehmen«, betonte Eckardt. »Das wissen wir nicht.«
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