Prinzipienfeste Liberale
Annie Lööf hat einen Pro-Flüchtlings-Wahlkampf geführt und ihrer Partei so einen Wahlerfolg beschert. Nun spielt sie eine wichtige Rolle bei der Regierungsbildung in Schweden. Von Birthe Berghöfer , Malmö
Nach den schwedischen Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag geht der Kampf um die Macht weiter. Die politischen Lager um die Sozialdemokraten und die Moderaten streiten sich mit zwei Mandaten Unterschied um den Sieg und die Regierungsbildung. Besonders eine Frau könnte dabei die kommenden Verhandlungen maßgeblich beeinflussen: Annie Lööf, Chefin der grün-liberalen Centerpartiet.
Die Juristin ist seit 2011 Vorsitzende der Zentrumspartei und mit zwei klaren Standpunkten in den Wahlkampf gezogen: Gemeinsam mit den Bündnisparteien der Alliansen, dem Lager um die Moderaten, soll die rot-grüne Regierung unter Stefan Löfven abgelöst werden - und zwar ohne eine Zusammenarbeit mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten. »Je näher wir dem Wahltag kommen, desto mehr haben die Schwedendemokraten sich radikalisiert. Dies wird eine Wahl der Wertvorstellungen«, sagte Lööf in einer Debatte kurz vor der Wahl. Es gehe darum, »aufzustehen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus und für Zukunftsglaube, Mitmenschlichkeit, Unternehmergeist und Gleichberechtigung«. Insbesondere die deutlichen Worte gegen die Schwedendemokraten und für eine offene Migrationspolitik haben Lööf und ihrer Partei nun einen Wahlerfolg von 8,6 Prozent beschert - das beste Ergebnis seit 30 Jahren und ein Stimmgewinn von 2,5 Prozent im Vergleich zu 2014.
1983 in der südschwedischen Provinz Småland - Schauplatz zahlreicher Astrid-Lindgren-Geschichten - geboren, tritt Annie Lööf mit 18 Jahren der Zentrumspartei bei. Schon zuvor engagiert sie sich politisch und wählt einen sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt am Gymnasium, das sie 2002 mit Bestnoten abschließt. Von da an geht die politische Karriere steil und stets etwas schneller als gewöhnlich aufwärts. 2006 wird sie mit 23 Jahren zur jüngsten Abgeordneten der Legislaturperiode in den Reichstag gewählt. Sie unterbricht ihr drei Jahre zuvor begonnenes Jurastudium an der Lund Universität, nimmt es aber neben der Tätigkeit als Abgeordnete schnell wieder auf.
Auch Jimmie Åkesson, Chef der von Lööf so verhassten Schwedendemokraten, studiert in Lund. Anders als er schließt Lööf allerdings ihr Studium 2011 erfolgreich ab. Kurz darauf wird sie die jüngste Parteivorsitzende in der Geschichte der Zentrumspartei und erhält gleichzeitig das Amt der Wirtschaftsministerin, das sie bis 2014 ausübt. Im Sommer 2017 ist sie kurz als mögliche Regierungschefin einer Alliansen-Regierung im Gespräch, nachdem die Moderaten eine Zusammenarbeit mit Schwedens Rechtspopulisten nicht ausschließen und an Popularität verlieren. Die Centerpartiet wird damit zur flüchtlingsfreundlichen Alternative ehemaliger liberaler Moderaten-Wähler*innen.
Die 35-Jährige, die in ihrer Jugend Fußball spielte und sich als Gewinnertyp beschreibt, genießt großes Vertrauen bei ihrer Wählerschaft und in ihrer Partei. Sie hat das Image der Zentrumspartei in den vergangenen sieben Jahren erheblich verändert. Zuvor Partei ländlicher Kleinunternehmer, Landwirte und Bauern, vertritt die Zentrumspartei heute urbane Mittelklasse-Bürger*innen. So wählen beispielsweise viele Frauen mit Universitätsabschlüssen und hohem Einkommen Annie Lööf. Sie und ihre Partei teilen umweltpolitische Überzeugungen mit den Grünen und migrationspolitische Positionen mit der Linken. Als Liberale steht Lööf andererseits für einen freien Markt, für Wettbewerb und die Privatisierung wohlfahrtsstaatlicher Strukturen. All dies zusammen hatte ich die Partei in den simplen Wahlkampfslogan »Framåt!« (Vorwärts!) gegossen. »Wenn alle Menschen Verantwortung für Sicherheit und Solidarität übernehmen, wird das Wohlfahrtssystem viel stärker sein, als es der Staat allein bereitstellen kann«, heißt es im Programm der Zentrumspartei.
Doch nicht damit sticht sie aus dem bürgerlichen Alliansen-Lager hervor, sondern mit ihrem Bekenntnis zu einer auf Willkommenskultur gründenden Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Auf der Webseite der Partei wird beschrieben, dass in den 1990er Jahren viele neue Klassenkamerad*innen von Lööf aus Bosnien kamen. Dies habe sie als Bereicherung empfunden und deren gelungene Integration miterlebt, heißt es dort. Eine Erfahrung, die ihre Haltung zu dem Thema geprägt habe.
Knapp eine Woche nach der Wahl bleibt Lööf bei ihren Standpunkten. »Jetzt konzentrieren wir uns auf die Umsetzung dessen, was wir vor der Wahl versprochen haben. Es geht darum, Stefan Löfven zu ersetzen, die Allianz zu stärken und das Vertrauen, das wir bekommen haben, nicht zu missbrauchen. Und da sagen wir natürlich nein zu jeglicher Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten.« Langfristig muss Lööf allerdings eines dieser Versprechen brechen, denn Alliansen kann nur regieren, wenn sie sich von den Schwedendemokraten tolerieren lässt - und Rot-Rot-Grün nur dann, wenn Annie Lööf überläuft. Oder aber sie findet doch noch eine Alternative zu den beiden Szenarien, nach ihrem Motto: »Nichts ist unmöglich.«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.