Kooperation wo nötig, Konflikt wo möglich

Europäisches Gericht bestätigt Sanktionen gegen russische Firmen / Lawrow-Besuch in Berlin

  • von Felix Jaitner
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Europäische Union darf auch einzelne Firmen aus Russland mit Sanktionen belegen. Dies bestätigte ein Urteil des erstinstanzlichen Gerichts der Europäischen Union (EuG) am Donnerstag. Damit wies das Gericht die Klage der russischen Rohstoffunternehmen Gazprom und Rosneft, des Rüstungskonzerns Almaz-Antej und dreier russischer Banken (Sberbank, VTB, Vneshekonombank) zurück. Gegen das Urteil kann innerhalb von zwei Monaten beim übergeordneten Europäischen Gerichtshof (EuGH) Berufung eingelegt werden.

In der Urteilsbegründung argumentierte das Gericht, der Eingriff in die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht der betroffenen Banken und Unternehmen sei nicht unverhältnismäßig und gut begründet. Außerdem erklärten die Richter, das Urteil solle »die Kosten für die Handlungen Russlands, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben, erhöhen und eine friedliche Beilegung der Krise unterstützen.« Dies entspreche auch »dem Ziel der Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit« und stehe daher in Einklang mit den Zielen der EU. Der Vorstandsvorsitzende des Erdölunternehmens Rosneft, Igor Setschin, kommentierte das Urteil lapidar: »Das Gerichtswesen der EU hat den Unabhängigkeitstest nicht bestanden.«

Die Sanktionen der EU umfassen Einreiseverbote und Kontosperrungen von Privatpersonen und Unternehmen. Darüber hinaus sind seit Oktober 2014 zusätzliche Sanktionen gegen russische Finanzinstitute und Unternehmen in Kraft. Diese erschweren den betroffenen Firmen, Wertpapiergeschäfte und Transaktionen im westlichen Ausland durchzuführen oder verbieten sie ganz.

Die Sanktionen zielen auf die Schwächung zweier wichtiger russischer Exportbranchen ab: Rüstung und Rohstoffe. So existiert ein Exportverbot für Güter, die sowohl für zivile als auch militärische Produktion genutzt werden können, sogenannte dual-use-Waren. Des weiteren machen die Sanktionen den Export von Waren, die zur Erforschung und Ausbeutung tiefliegender Öl- und Gasvorkommen wie in der Arktis und auf offener See notwendig sind, unmöglich.

Genau in diesen Bereichen sind die russischen Öl- und Gasunternehmen hochgradig abhängig von westlicher Ausrüstung. Vor den Sanktionen lag der Importanteil für Maschinen zu Offshore-Bohrungen nach Angaben der Union der russischen Öl- und Gasindustrie bei circa 80 Prozent. Für zusätzlichen Druck sorgt die Tatsache, dass die aktuell genutzten Vorkommen in Westsibirien zu Ende gehen und neue Vorkommen in Ostsibirien und in der Arktis nur unter hohem finanziellen und technischen Aufwand auszubeuten sind.

Vor diesem Hintergrund ist auch die staatliche Politik seit der Krise zu sehen. Die unternommenen Anstrengungen zur Importsubstitution wurden erst zu einem Schwerpunkt der Regierung, als die nationale Öl- und Gasindustrie im Zuge der Sanktionen unter Druck geriet und damit das auf Rohstoffexport ausgerichtete russische Wirtschaftsmodell langfristig gefährdete. So konstatierte der Präsident der Union der Öl- und Gasindustrie Russlands, Gennadij Schmal, im Jahr 2015: »Die Modernisierung hat für uns lebenswichtigen Charakter.«

Dass das Gerichtsurteil eine weitere Verschlechterung des deutsch-russischen Verhältnisses bedeuten könnte, bezweifelt Stefan Meister. Nach Ansicht des Leiters des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik besteht der Anlass für den Deutschlandbesuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow am Freitag in Beratungen über Syrien und den geplanten Ausbau der Gaspipeline North Stream. »Das Sanktionsthema ist überbewertet«, sagt Meister im Gespräch mit dem »nd«.

Aus Sicht des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft trifft dies sicher nicht zu. Allerdings haben sich fünf Jahre nach dem Beginn des Konfliktes in der Ukraine scheinbar alle Beteiligte mit dem Status Quo abgefunden. Die Voraussetzung für die Aufhebung der Sanktionen ist die vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens. Der Politikwissenschaftler und Osteuropaforscher Dieter Segert sagt gegenüber dem »nd«, seiner Ansicht nach sei der Konflikt in der Ukraine »der wesentliche Hebel zur Aufrechterhaltung der Spannungen. Eine Belebung der deutschen Bemühungen um eine Lösung wäre sehr wichtig«. Da augenblicklich weder von ukrainischer Seite noch von Seiten der Volksrepubliken Donezk und Lugansk konkrete Schritte in diese Richtung zu erwarten sind, redet man beim morgigen Treffen lieber über andere drängende Themen. Damit verfestigen sich die Widersprüche und eine Konfliktlösung bleibt aus.

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