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Soziale Kluft wuchs noch
Die US-Immobilienkrise traf die Armen
Als die Möbelpacker anklopften, öffnete eine Latina um die vierzig die Tür. Ihre Familie in der South Side von Milwaukee hatte Mietschulden, der Vermieter schaltete einen Anwalt ein - nun die Zwangsräumung: »Geben Sie mir noch bis Mittwoch?« fragte die Frau die Ausräumer. Die schüttelten die Köpfe. »Wir können Ihre Sachen in den Laster laden oder auf den Gehweg stellen«, sagte einer. Laster heißt, dass Möbel zu hohen Preisen bei Spediteuren eingelagert werden. Schnell war klar: »Gehweg-Service.«
So beginnt eine der Geschichten, die Matthew Desmond in seinem Buch »Zwangsgeräumt« (Ullstein-Verlag, 2018) erzählt. Der Soziologe hat für seine Doktorarbeit in den Krisenjahren 2008 und 2009 in Armenvierteln von Milwaukee, der viertärmsten Stadt der USA, recherchiert und mit acht Familien über Monate hinweg engen Kontakt gepflegt. Vorwiegend Afroamerikaner, aber auch weiße Arme, die sich mit Hilfsarbeit durchschlagen, in den USA verächtlich »White Trash« genannt. Er hat auch mit 30 Vermietern gesprochen, die ihm Einblick in ihre Geschäftsbücher und Praktiken erlaubten. Desmond hat dafür den Pulitzer-Preis erhalten. Barack Obama und andere Prominente empfehlen das Buch zur Lektüre.
Es handelt vom Kampf um ein besseres Leben in der Krise, vom Niedergang weiter Teile der Bevölkerung und auch den Fehlern der Armen, für die sie mehr büßen als Angehörige der Mittelschicht. Die spätere Finanzkrise hatte als Immobilienkrise begonnen. Steigende Zinsen führten dazu, dass vor allem Ärmere ihre Hypothekenkredite nicht mehr bezahlen konnten und ihr Haus, meist ihr Hauptvermögenswert, an die Bank verloren. Mieter konnten wegen der schlechten Wirtschaftslage und steigender Arbeitslosigkeit ihre Mieten nichtmehr bezahlen, die in den USA bis zu 70 Prozent des Einkommens Armer schlucken. Die Immobilienkrise zwischen 2007 und 2010 hatte zur Folge, dass »die durchschnittliche weiße Familie einen Vermögensverlust von 11 Prozent« erlitt. Die durchschnittliche schwarze Familie verlor 31 Prozent, die hispanische Familie sogar 44 Prozent. Trotzdem leide Amerika an der weit verbreiteten Meinung, Armut sei Folge individuellen Versagens, beklagt Desmond, der in Harvard lehrt.
Sein Fazit: Die Immobilienkrise hat die Kluft zwischen Arm und Reich sogar noch vergrößert. Die Immobilienvertreterin Sherrena, selbst eine Schwarze, die Mieten an Haustüren einsammelt, ist Millionärin und gibt zu: »Das Ghetto ist gut zu mir.« Das Geschäft mit den Armen ist äußerst profitabel.
Bei diesen treffen Zwangsräumungen vor allem Familien mit Kindern. Die Folgen sind eine lebenslange Schuldenspirale, immer weniger Sozialleistungen.
Die Latina, deren Haus zwangsgeräumt wird, hat »das Gesicht einer Person, die aus dem Keller kommt und bemerkt, dass ein Tornado das Haus dem Erdboden gleichgemacht hat«, schreibt Desmond. Ihre Familie ist ab sofort obdachlos, wird in ein marodes Übergangsheim verfrachtet, der Schuldenberg wächst. Sie haben alles verloren.
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