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Präsident in Panik
DFB-Chef Grindel soll aus Angst vor Fanprotesten das Länderspiel gegen Peru verlegt haben
Der Slogan prangt in Frankfurt am Main nicht an der DFB-Zentrale, sondern im ganzen Stadtgebiet: »United by Football. Vereint im Herzen Europas«. Ein Wortlaut, mit dem die Integrationskraft der Bewerbung für die EM 2024 hervorgehoben werden soll. Am 27. September entscheidet das Exekutivkomitee der UEFA über den Zuschlag. Einziger Mitbewerber ist die Türkei, die sich politisch und wirtschaftlich in einer schweren Krise befindet - von den fußballerischen Problemen der erneut nicht für ein Turnier qualifizierten Nationalmannschaft ganz zu schweigen. Doch Deutschland betrachtet es dennoch nicht als Selbstläufer, das zweite Mal nach 1988 eine Europameisterschaft auszurichten. So hatte der DFB zuletzt internationale Journalisten nach München eingeladen, die gleichwohl wenig zu den EM-Ambitionen, dafür umso mehr zum WM-Desaster wissen wollten - vor allem, warum Mesut Özil unter Rassismusklagen gegen den DFB-Präsidenten zurückgetreten ist. Bundestrainer Joachim Löw hatte bei der Fragerunde Reinhard Grindel den Rücken gestärkt.
Nun sitzt der Verbandschef schon wieder auf der Anklagebank. Der »Spiegel« hat enthüllt, dass das Freundschaftsspiel gegen Peru am Sonntag gar nicht in Sinsheim hätte stattfinden sollen, sondern eigentlich in Frankfurt. Dagegen hätte Grindel Bedenken angemeldet, die der 56-Jährige seinem Vizepräsidenten Rainer Koch überbrachte: »Ich halte das Risiko, dass wir bei dem Länderspiel ein Desaster erleben und dies kurz vor der Euro-Vergabe negative Auswirkungen hat, einfach für zu hoch, weil für mich die Frankfurter Ultraszene viel zu unberechenbar ist.« Diese E-Mail soll neun Tage nach den heftigen Protesten bei der Montagspartie am 19. Februar 2018 zwischen Eintracht Frankfurt und RB Leipzig verfasst worden sein, berichtete das Nachrichtenmagazin.
Grindel glaubt, dass mögliche Bilder von Bengalo-Zündeleien eine zu große Gefahr seien. Er wolle sich »auf klassische Argumente, die Ultras besuchen keine Länderspiele, nicht so gerne verlassen«. Er hege Befürchtungen, »dass die ja keineswegs dummen Ultras uns das Projekt Euro 2024 gerade kaputtmachen wollen, indem sie dort ein Inferno veranstalten.« DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius und Koch waren zwar anderer Meinung, aber ihr Chef Grindel setzte sich durch.
Dessen sehr pauschale Argumentation forderte am Sonntag den Widerspruch vieler Fanvertreter heraus. Den Nordwestkurve-Rat erreichten so viele Anfragen, dass die Frankfurter Ultravereinigung entgegen ihrer Gepflogenheiten sogar eine Stellungnahme versandte: »Die Aussagen von Herrn Grindel zeigen einmal mehr seine Ahnungslosigkeit und Hilflosigkeit beim Thema Fankultur. Diese diffuse, völlig realitätsferne Panik des Präsidenten lässt tief blicken.« Nach den abgebrochenen Fangesprächen sei eine Verständigung unmöglich: »Kein ernstzunehmender Fanvertreter kann mit einem Verband unter diesem Präsidenten auch nur ein weiteres Wort wechseln! ... Dieser Mann war und ist untragbar!«
Reinhard Grindel verkennt, für welche Werte auch die Frankfurter Fanszene steht. Nämlich dieselben, mit der die DFB-Bewerbung für die EM 2024 angeschoben wird: Vielfalt, Toleranz und Offenheit. »United Colors of Frankfurt« lautete das Motto beim Bundesliga-Heimspiel der Eintracht am 8. April 2018 gegen Hoffenheim. Verein und Anhängerschaft setzten im Kampf gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus ein Zeichen - und hatten mit Kevin-Prince Boateng ein Gesicht der von der Deutschen Fußball Liga initiierten Kampagne in ihren Reihen.
Der DFB stellt über seine Kommunikationsabteilungen den Sachverhalt naturgemäß anders dar, um seinen auch hausintern argwöhnisch beäugten Präsidenten zu schützen. Man habe sich für Sinsheim entschieden, weil das dortige Stadion mit seinen 25 494 Sitzplätzen leichter zu füllen sei als die fast doppelt so große Spielstätte im Frankfurter Stadtwald. »Der entscheidende Punkt war die Überlegung, dass wir zwei Wochen vor der Vergabe der EM 2024 ein volles Stadion garantieren wollten«, beteuerte Koch. Auch Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff betonte am Sonnabend noch mal: »Es war ein Gedanke dahin, ein ausverkauftes Stadion zu haben.«
Der »Spiegel« wich von seiner Darstellung nicht ab und machte am Sonntag den gesamten E-Mail-Verkehr zwischen Grindel und Koch öffentlich. Demnach warnte der Vizepräsident sogar davor, dass eine negative Stimmungslage dann aufkomme, »wenn herauskommt, dass wir Frankfurt abgelehnt haben«. Um zu beschwichtigen, soll Frankfurt jetzt bald wieder an die Reihe kommen - wenn nach der Auslosung der EM-Qualifikation die Orte für die Heimspiele 2019 vergeben werden.
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