Kritik an Polizeikessel in Chemnitz
Demosanitäter und Politikerin der Linkspartei werfen Polizei rechtswidrigen Einsatz vor
Am Samstagabend herrschte in Chemnitz eine bedrohliche Lage. Nach der Auflösung des rechtsradikalen Aufmarsches von AfD, Pegida und Pro Chemnitz zogen verschiedene Gruppen von Nazis durch die Straßen und griffen Gegendemonstranten sowie Journalisten an. Die Polizei konnte viele Übergriffe nicht verhindern - möglicherweise auch, weil sie andere Prioritäten gesetzt hatte. Von etwa 18 bis 22 Uhr wurde am Johannisplatz eine Gruppe von rund 250 Antifaschisten eingekesselt. Demosanitäter und Politiker erheben nun schwere Vorwürfe gegen die Beamten.
Der Verlauf aus Sicht der Polizeipressemitteilung: Die Antifaschisten hatten am frühen Abend »offenbar« versucht, in Gruppen zur AfD-Versammlung zu kommen. Um die Gruppen zu trennen, bauten die Beamten demnach einen Kessel auf, vereinzelt sei es dabei zu »Rangeleien« gekommen. Aufgrund »strafrechtlicher Ermittlungen zum Verdacht des Landfriedensbruchs« nahm die Polizei anschließend die Personalien der meisten Anwesenden auf.
Offenbar verlief der Einsatz jedoch weitaus problematischer als beschrieben. Ehrenamtliche Demosanitäter aus Chemnitz werfen den Beamten vor, sie in ihrer Arbeit behindert zu haben. »Wir konnten in den Kessel hinein, durften diesen aber nicht wieder verlassen«, erklärt der Sanitäter Alex Benda gegenüber »nd«. »Polizisten hatten uns zu Versammlungsteilnehmern erklärt.« Nur um Verletzte zum Rettungsdienst zu begleiten, habe man kurzzeitig hinaus gedurft. »Das ist ärgerlich und auch unprofessionell. Wir haben die grundgesetzlich verankerte Verpflichtung zu helfen und es ist unangenehm, wenn man behindert wird«, sagt Benda. »Das betreffende Sanitäter-Team konnte an dem Abend keine weiteren Fälle an anderen Orten bearbeiten.«
Der Sanitäter erklärt, das die Polizei weiterhin Daten der Patienten angefordert habe. »Das ist ein grober Verstoß gegen den Datenschutz. Würden wir bei so etwas kooperieren, würden wir unsere echten Jobs gefährden«, so Benda. Ein Patient, der schnellstmöglich ins Krankenhaus müsse, sei zudem nicht in der Lage, eine solche Belastung durchzustehen. »Polizisten haben hier mit der Gesundheit der Demonstranten gespielt.«
Nach Angaben des Sanitäters habe es am Abend zudem einen Angriff mit Pfefferspray auf den Polizeikessel gegeben, offenbar von Nazis, die sich auf einem naheliegenden Dach befunden haben. Auch die Sanitäter seien getroffen wurden. »Angriffe sind immer schlimm, aber unsere Anwesenheit zu ignorieren oder unsere Verletzung in Kauf zu nehmen, ist besorgniserregend, da sich klar gesetzte Regeln auflösen«, so Benda.
Die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linkspartei) war beim Kessels vor Ort und übt ebenfalls schwere Kritik. »Mit der Umschließung am Johannisplatz wurde Menschen nicht nur das Recht auf legitimen Protest genommen, sie wurden auch kriminalisiert«, so die Politikerin gegenüber »nd«. »Wegen eines angeblichen Angriffs auf Polizeibeamte wurden mehr als 200 Menschen fast vier Stunden festgehalten und als tatverdächtig deklariert.« Dies sei nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch »rechtswidrig«. Die Politikerin hat zur Begründung und zum Verlauf des Kessels eine Kleine Anfrage an die Staatsregierung gestellt.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.