Der Teufel spielt die Bratsche
Carl Maria von Webers »Freischütz« in der Kammeroper Schloss Rheinsberg
Ich gebe zu, dass der »Freischütz« zu meinen allerliebsten Lieblingsopern gehört. Die einschlägige Programmheftsammlung beginnt mit einer Aufführung im Carl-Maria-von-Weber-Theater in Bernburg an der Saale. Damals war ich zehn und meine Mutter hatte mich am Klavier bestens präpariert. Auch textlich war ich auf der Höhe, wusste was ein Eremit und was eine »sel’ge Base« ist. Es war grandios, nur das Hirschskelett in der Wolfsschlucht quietschte ziemlich und Agathe fand ich zu dick.
Die wahren Rätsel dieser scheinbar biedermeierlichen Gruseloper offenbarten sich mit den Jahren, mit den Entbiederungen. Das bürgerliche Wohnzimmer als wahre Wolfsschlucht, die psychoanalytischen Gewehrverkrümmungen beim Probeschuss, Gewaltbereitschaft, Kriegsgräuel; das Böse und das Gute belauern einander, und manchmal spielt der Teufel die Bratsche.
Die jüngste Manifestation des Rätselhaften geschieht gerade im Heckentheater im Rheinsberger Schlosspark. Dort läuft Carl Maria von Webers 1821 in Berlin uraufgeführter Geniestreich im Programm des Kammeropernfestivals.
Ausgerechnet dessen schlimmster Hit, der »Jungfernkranz«, gehört zu den besten Szenen der Inszenierung. Teuflische Jungfern überreichen Agathe mit genussvoller Bosheit zum Hochzeitsmorgen die Totenkrone. Sie werden damit recht behalten, so will es die Konzeption des Regisseurs Bruno Berger-Gorski. Diese basiert auf der Vorlage für den »Freischütz«, einer Geschichte aus dem zwischen 1811 und 1815 erschienen »Gespensterbuch« von August Apel. Darin erschießt der ehemalige Schreiber und Neujäger Wilhelm aus Versehen seine Braut und wird darüber wahnsinnig. Tatsächlich laufen Friedrich Kinds Libretto und vor allem Webers Musik viel eher auf einen solchen Schluss zu als auf das halbherzige Happy End des Werkes. Berger-Gorski und sein Team lassen Agathe tatsächlich sterben, und Max endet in der Zwangsjacke. Diese Inszenierungsidee ist halbwegs einleuchtend, wenngleich nicht konsequent auf der Bühne entwickelt. Überhaupt fand das Konzept vor allem am Bühnenrand statt, an der Rampe ging es eher konventionell zu. Immerhin mit einigem Witz. Die Wolfsschlucht mit einem Pegida-Fahnen schwenkenden wilden Heer, in dessen Mitte Angela Merkel als Mater dolorosa erscheint.
Spannender die Frage, wie sich die jugendlichen Protagonisten mit den Partien der Oper auseinandersetzen würden - deutsches Fach, nicht so einfach. Für Max braucht es immerhin einen jugendlichen Heldentenor, und Agathe sollte auch einige dramatische Töne parat haben.
Johannes Grau kann man mit einiger Sicherheit eine tenorale Erfolgskarriere voraussagen, Max’ große Szene im ersten Akt war zum Luftanhalten spannend, lyrisch, wenn nötig, heldisch verzweifelt und ausdrucksstark. Agathe, Mima Millo, ging ihre Partie vor allem lyrisch wohllautend an. Zum Aufhorchen außerdem das höchst intensive Ännchen der Jerica Steklasa - von einer Super-Bratsche aus dem Orchestergraben begleitet - und ein sensationell singender Jaka Mihelač in der typischsten aller Nebenrollen, Fürst Ottokar. Auch Kaspar, Johannes Schwarz als schwarzbassiger Bösewicht, ist perfekt besetzt. Und ebenso hätten Kilian, Kuno, Eremit und die Brautjungfern jedem Stadttheater Ehre gemacht. Aber was bei der Rheinsberger »Così« perfekt funktionierte, die Zweitbesetzung des Kammerchörchens, ging im »Freischütz« daneben. Die Chorstellen klangen nach solistischem Ehrgeiz und trotzdem dünn; zum »Jägerchor« schweigt des Kritikers Höflichkeit.
Unter der so souveränen wie lebendigen Leitung des jungen slowenischen Dirigenten Simon Krečič musizierte die erst 2015 gegründete Junge Kammerphilharmonie Berlin, ein semi-professionelles Orchester unter den Fittichen der Berliner Philharmoniker. Dass das Horn ein verteufelt schweres Instrument ist, weiß jeder. Ansonsten: Ohr, was willst du mehr? Das Orchester gab der frühen Romantik alles, was sie an rätselvollem Waldes- und Seelenrausch braucht.
Apropos Rätsel. »Der Freischütz«: Handlungszeit 30-jähriger Krieg, Entstehungszeit frühes 19. Jahrhundert, Aufführungszeit frühes 21. Jahrhundert - warum erscheinen auf der Rheinsberger Bühne riesige Porträts von Otto von Bismarck und Helmut Kohl?
8./10./11./12. August
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