Vollzeit im Ehrenamt

Die 76-jährige Hamburgerin Ingrid Kosmala engagiert sich in zahlreichen Bereichen - und sie bedauert, dass gemeinnütziges Tun an Stellenwert verliert

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Ruhestand ist Unruhestand - jedenfalls bei Ingrid Kosmala. Die 76-Jährige leistet ehrenamtlich kaum weniger als so mancher Vollzeitbeschäftigte. So engagiert sie sich in der Patriotischen Gesellschaft - diese war 1765 als Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe in der Epoche der Aufklärung gegründet worden und ist als gemeinnütziger Verein nach eigenen Angaben die älteste zivilgesellschaftlich engagierte Organisation im deutschsprachigen Raum. Kosmala ist zudem Mitglied in der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Verständigung (GDCV) und hilft im Altonaer Museum aus, wenn Not an der Frau ist. Auch ist sie im Denkmalschutz aktiv.

Besonders am Herzen liegt ihr die Pflege der deutsch-chinesischen Freundschaft, was einen familiären Hintergrund hat. Ihre Großeltern lebten vor dem Ersten Weltkrieg lange in Qingdao, wohin ihr 1872 geborener Großvater Franz Wolter als Taucher der kaiserlichen Marine zum Kanalbau abkommandiert worden war. Damals entwickelte sich in der Stadt eine kleine deutsche Kolonie, deren Spuren noch heute zu sehen sind. Das in dieser Zeit erbaute Rathaus und einige Kirchen stehen noch. Zu Weltruhm hat es das nach deutscher Braukunst produzierte und weltweit exportierte Bier Tsingtao gebracht, das man heute in San Francisco, London und Hamburg trinken kann. »Die Beziehungen zu China sind noch heute sehr eng«, sagt Ingrid Kosmala, die kürzlich ihre Familiengeschichte für Han Bao, das »China-Magazin für Hamburg & Norddeutschland«, aufgeschrieben hat: 1898 heirateten ihre Großeltern, ihre Großmutter Anna Julie folgte ihrem Mann erst später nach Asien. »Mein Großvater hatte bei der Ankunft seiner Frau bereits zwei Jahre allein in Qingdao gelebt, mit seiner chinesischen Haushälterin hatte er eine kleine Tochter«, erzählt Kosmala. Anna Julie nahm das stoisch zur Kenntnis und blieb bei ihrem untreuen Ehemann und kümmerte sich fortan um Waisenkinder in der Region. »Mit einem Planwagen war sie tagelang unterwegs bis zum nächsten Kloster, wo die Kleinen liebevoll von Nonnen aufgenommen wurden«, berichtet die Enkelin, die dieses ehrenamtliche Engagement zum Vorbild genommen hat.

Ingrid Kosmala wurde 1942 in Altona geboren, besuchte erst eine Mädchen-, dann eine Modeschule und lernte Schneiderin. Zuletzt arbeitete sie als Verkäuferin in der Modebranche und war nebenberuflich als Reise-Journalistin tätig. Noch während ihrer Berufstätigkeit engagierte sie sich 23 Jahre lang ehrenamtlich in der Pflege - als sogenannte Grüne Dame. Der Name beruht auf der Kleidung, welche diese Ehrenamtlichen zumeist tragen - es sind grüne Kittel.

Seit 1999 ist Kosmala Mitglied in der das Gemeinwohl und die Künste fördernden Patriotischen Gesellschaft, wo sie in den Arbeitskreisen Denkmalschutz, Stadtentwicklung und Tafeln mitmischt. Leider habe das Ehrenamt heute nicht mehr den Stellenwert wie noch vor einigen Jahren, bedauert Kosmala: »Die Leute haben keine Zeit mehr wegen der Arbeitsverdichtung. Und die Jungen spielen meistens auf ihrem Handy herum und sprechen kaum noch miteinander. So geht die Geselligkeit verloren.«

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