Neustart in der alten Heimat

Der Trend zur Rückkehr in den Osten hat sich in den letzten Jahren verstetigt

  • Anna Ringle und Kristin Kruthaup
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine kleine Straße, wie man sie sich in einer Neubausiedlung in Deutschland vorstellt: Gepflegte Einfamilienhäuser, frisch angelegte Gärten mit Spielgeräten. Neuer Straßenbelag, hier und da wird noch gebaut. Doch diese kleine Straße in Südbrandenburg hat eine Besonderheit. Anwohner Ivo Baumert zeigt von seinem Grundstück auf Häuser von Nachbarn. Sie alle verbinde eines mit ihm: Nach der Wende zogen sie aus ihrer Heimatstadt Spremberg nach Westdeutschland - und kamen wieder zurück. Immer mehr Weggezogene - ob in andere ostdeutsche oder westdeutsche Bundesländer - zieht es wieder an frühere Wohnorte im Osten. Und die Regionen buhlen um sie.

Es gibt inzwischen viele Rückkehr-Initiativen und -Netzwerke, man investiert in Werbung und Kampagnen. Nicht erst neuerdings. Der Slogan einer Postkarten-Aktion vor Jahren aus Brandenburg etwa lautete so: »Mach Mutti glücklich. Komm zurück«. Es gibt sie bis heute. Der Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt betreibt eine Willkommensagentur für Rückkehrwillige. Sie vermittelt als erster Ansprechpartner Kontakte. »Die Anfragen steigen und auch die Zahl der Rückkehrer«, sagt die Verantwortliche Anja Ulrich. Die Städte Wernigerode und Quedlinburg seien derzeit besonders begehrt.

Bei Familie Baumert lief die Rückkehr ganz ohne fremde Hilfe ab. Seit annähernd einem Jahr lebt das Ehepaar mit seinen zwei Kindern wieder in Spremberg, zuvor hatten sie in Hamburg gewohnt. »Wir wollten wieder näher Richtung Familie ziehen, auch wegen der Hilfe der Großeltern bei der Kinderbetreuung«, sagt Stefanie Baumert.

Ursprünglich wollte das Ehepaar in den Speckgürtel von Berlin, weil sie in der Hauptstadt auf schnelle Anschluss-Jobs hofften. Doch es gab ein Problem. »Alle sind auf der Suche nach Immobilien«,sagt Baumert. Aber in den Großstädten oder um diese herum seien sie teuer. Damit habe es einen Grund mehr für Südbrandenburg gegeben.

Der Trend zur Rückkehr hat in den vergangenen Jahren in Ostdeutschland zugenommen, wie Tim Leibert vom Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig sagt. Als einen Grund nennt er die verbesserte Arbeitsmarktsituation. Zugleich erläutert er: »Rückwanderung ist in erster Linie eine Rückwanderung in soziale Netze wie Familie.«

Leibert stützt sich auf eine Studie des Instituts. Sie bildet Erwerbstätige in Deutschland ab, die zunächst umzogen und zwischen 2001 und 2014 wieder zurückkamen. Die Untersuchung zeigt auch, dass dieses Phänomen genauso im Westen vorkommt.

Bundesweiter Spitzenreiter bei der Rückkehrerquote in dem Beobachtungszeitraum ist laut Studie der Landkreis Eichsfeld in Thüringen. Landrat Werner Henning (CDU) geht davon aus, dass der dominierende Faktor das Lebensgefühl mit Landschaft, Kultur, Religion und Familie sei, was viele an die Region binde. Zudem grenzt der Landkreis an Hessen und Niedersachsen. Viele pendeln und arbeiten in Oberzentren wie Göttingen oder Kassel. Die Arbeitslosenquote im Landkreis lag im Juni bei 3,6 Prozent. Beim Rückkehr-Netzwerk »Ankommen in Brandenburg« spricht man ebenfalls von steigenden Anfragen und nennt als Gründe neben der Arbeitsmarktsituation: In Ballungszentren steigen die Immobilienpreise, was ländlichere Regionen wieder attraktiver mache. Auch die Pflege der Eltern oder ein Immobilien-Erbe seien Faktoren für eine Rückkehr. Ähnlich äußert sich die Agentur mv4you in Mecklenburg-Vorpommern, die ein vom Land kofinanziertes Jobportal-Projekt betreut. Häufig handele es sich um junge Familien. Die Nähe zur eigenen Familie spiele beim Zurückkommen die größte Rolle. Aber auch die Verbundenheit zur Heimat sei ein Aspekt.

In Sachsen sei man dringend auf Rückkehrer angewiesen, sagt Frank Vollgold, Sprecher der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit. Aufgrund des demografischen Wandels gingen dem sächsischen Arbeitsmarkt bis 2025 schätzungsweise rund 213 900 Menschen im arbeitsfähigen Alter verloren. Davon seien alle Regionen bis auf Leipzig und Dresden betroffen. Gleichzeitig entwickele sich die Zahl der angebotenen Jobs sehr positiv. Vor Tagen stellte das sächsische Wirtschaftsministerium ein neues Fachkräfte-Portal vor, das auch Rückkehrwillige ansprechen soll.

Dass viele Regionen auf Rückkehrer setzen, liegt auch an den Bevölkerungszahlen in Ostdeutschland. Laut Statistischem Bundesamt gab es in den vergangenen Jahren weniger Geburten als Sterbefälle. Die Zuzüge konnten dieses Geburtendefizit in der Regel nicht ausgleichen. 1990 lebten im Osten (ohne Berlin) den Statistikern zufolge gut 14,7 Millionen Menschen. Im Jahr 2016 waren es annähernd 12,6 Millionen.

Nach 1990 lagen demnach die Zahlen der Wegzüge aus Ostdeutschland in die westdeutschen Bundesländer viele Jahre über denen der Zuzüge. Seit 2009 geht die Abwanderung nach Westdeutschland den Statistikern zufolge tendenziell wieder zurück. dpa/nd

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