Das Vertrauen steht auf dem Spiel

Gegen unseriöse Forschungspublikationen soll vorgegangen werden

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Skandal um scheinwissenschaftliche Publikationen hat die deutsche Forschung in Aufregung versetzt. Ein Team von Investigativjournalisten der Sender NDR und WDR sowie der «Süddeutschen Zeitung» hatte in der vorigen Woche aufgedeckt, dass sich am Rande der Wissenschaftswelt ein großes System von «Raubjournalen» und Scheinkonferenzen etabliert hat, dem viele Forscher unwissentlich zum Opfer fallen. Auch Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Berlin und Brandenburg sind davon betroffen.

Publikationen sind die «harte Währung», die über Wissenschaftskarrieren entscheiden. Daher erscheinen mit Expansion des Wissenschaftssystems immer mehr Aufsätze in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, deren Neuheitswert und fachliche Relevanz in der Regel von Gutachtern geprüft werden («Peer Review»). Den Druck, schnell und viel zu veröffentlichen, hat sich in den letzten Jahren eine Form neuer Online-Journale zunutze gemacht, die Artikel von Wissenschaftlern gegen Zahlung von Gebühren veröffentlichen, aber ihre Prüfung unterlassen - worauf die Wissenschaftler aber vertraut haben. Dabei können sogar völlig unsinnige Texte erscheinen, wie das Journalistenteam an Beispielen zeigte («Fake Science»). Auch auf Schein-Konferenzen mit bombastischen Ankündigungen («World Conference») und geringer Teilnehmerzahl war es möglich, unwissenschaftliche Vorträge zu halten und dafür sogar noch eine Auszeichnung des Veranstalters zu bekommen. Die Verleger der «Raubjournale» («Predatory Journals») und obskuren Kongressveranstalter sitzen häufig im Ausland, ein hoher Anteil in Indien, wie der «Omics»-Verlag. Die Titel der «Journale» wie auch das Online-Design ähneln häufig etablierten Publikationen, um zu täuschen.

Für die Recherche des Projekts «Fake Science» wurden von den Journalisten 175 000 Forschungsartikel ausgewertet, die von fünf der wichtigsten scheinwissenschaftlichen Plattformen veröffentlicht wurden. Dabei konnten rund 5000 Namen von deutschen Wissenschaftlern identifiziert werden. «Entspräche diese Zahl der Wirklichkeit, dann hätte rund 1,3 Prozent des wissenschaftlichen Personals an deutschen Universitäten und Fachhochschulen statistisch gesehen mindestens einmal in einer mutmaßlichen Raubzeitschrift publiziert», hat das für Wissenschaftsjournalisten tätige Science Media Center in Köln ausgerechnet. Der Großteil von ihnen sicherlich ohne genaue Kenntnis über die Praktiken der Raubverleger.

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat in einer eigenen Datenauswertung mehr als 100 zweifelhafte Papers gefunden, die von mehr als 250 Wissenschaftler aus Berlin und Brandenburg verfasst wurden. Die Universitäten und Forschungseinrichtungen zeigten sich über den Umfang überrascht und kündigten Konsequenzen an. «Schon jetzt ist klar, dass viele der Arbeiten wissenschaftlich nicht zu beanstanden sind», erklärte eine Sprecherin des Berliner Universitätsklinikums Charité. «Häufig scheint es sich um Artikel zu handeln, die vorher eine Kaskade von Submissionen - Ablehnungen - Revisionen - Neusubmissionen bei anderen Journalen durchlaufen haben. Die Autoren waren offenbar ›froh‹, die Arbeit ›untergebracht‹ zu haben». Auf den Webseiten dieser Verlage und in deren Einladungsmails werde schließlich ein Peer Review Prozess versprochen. Mithin keine Betrugsabsicht der betroffenen Wissenschaftler, allenfalls «Naivität» und «Unwissenheit».

In einer ersten Reaktion hatte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) eine gründliche Untersuchung der Fehlentwicklungen bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen gefordert. Dies sei «im Interesse der Wissenschaft selbst», erklärte Karliczek. Fehlentwicklungen müssten öffentlich werden. Ähnlich äußerten sich die großen Forschungsgesellschaften und deutsche Hochschulen, denen das Phänomen der Fake-Verlage zwar bisher prinzipiell bekannt war, aber nicht das Ausmaß. Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren sprach von «einer äußerst negativen und problematischen Erscheinung des wissenschaftlichen Publikations- und Kommunikationssystems, gegen die mit allen rechtlichen Möglichkeiten konsequent vorgegangen werden muss». Die Raubverlage gefährdeten «nicht nur den Ruf einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, »sondern auch das Vertrauen in die Wissenschaft selbst«.

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