Kein einfacher Ort, um zu lernen
Bis 1945 wurden in Kummersdorf Waffen erprobt - eine Ausstellung erinnert an die Folgen
Im Grunde genommen ist die waldreiche Gegend zwischen Kummersdorf, Wiesenhagen und Gottow (Teltow-Fläming) ein furchteinflößender Ort. Weiträumig eingezäunt, versteckt hinter wild wucherndem Gesträuch, verbergen sich hier die zahlreichen Überreste einer fast 145 Jahre zurückreichenden militärischen Vergangenheit. Heute fast schon vergessen von der Öffentlichkeit, befand sich auf dem Gelände bis 1945 die Heeresversuchsstelle Kummersdorf, auf deren Schießbahnen, Testgeländen und Prüfständen sowie in deren Entwicklungslabors alle erdenklichen deutschen Waffen und Heeresausrüstungen getestet und einsatzreif gemacht wurden. Waffen, mit denen das millionenfache Sterben erst möglich und auf die Schlachtfelder zweier Weltkriege getragen wurde.
Der Landtagsabgeordnete Carsten Preuß (parteilos, für die LINKE) findet es nicht richtig, dass dieser historisch bedeutsame Ort dem Vergessen anheim fällt. Aus seiner Sicht ist er ein Mahnmal gegen den Krieg, lehrt er doch, was passiert, wenn Wissenschaftler wie etwa der Raketenkonstrukteur Wernher von Braun oder der Nuklearforscher Kurt Diebner sich, wie hier geschehen, bedenkenlos in den Dienst einer verbrecherischen Macht stellen. Und Preuß findet, dass das Land in dieser Frage seiner Verantwortung nicht gerecht wird. »Diese Liegenschaft gehört dem Land Brandenburg, und das Land ist damit Eigentümer der größten zusammenhängenden Denkmallandschaft in Deutschland«, sagt er.
Auf rund 3200 Hektar gibt es nach Angaben des Fördervereins Museum Kummersdorf allein 160 historische Bauten aus den verschiedenen Nutzungsperioden der Liegenschaft. Auf dem Gelände hatte sich das junge Kaiserreich nach dem deutsch-französichen Krieg (1870-1871) aus Reparationszahlungen des Verlierers einen modernen Artillerieschießplatz geleistet, der in der Weimarer Republik weiterbetrieben, dann aber von den Nazis umfassend ausgebaut wurde. Ab Kriegsende 1945 in sowjetischer Hand, ließ sich die Sowjetarmee von 1958 an von der DDR dort den Flugplatz Sperenberg für das Wünsdorfer Oberkommando ihrer in Deutschland stationierten Truppen bauen. Von hier verließ deren letzter Oberbefehlshaber, Matwej Burlakow, 1994 als letzter russischer Besatzungssoldat deutschen Boden. »Kummersdorf ist das größte deutsche Flächendenkmal, und das Land unternimmt nichts für seinen Erhalt«, so der Vorwurf Preuß’.
Der Landtagsabgeordnete stammt aus der Region, war nach der Wende im Umweltamt des Landkreises tätig und wohnt mit seiner Familie in Zossen. Der studierte Agraringenieur, ist nicht nur in der Kommunal- und Landespolitik, sondern auch in der Umweltpolitik engagiert. 2016 wurde Preuß zum Landesvorsitzenden des BUND in Brandenburg gewählt. Für ihn ist die Liegenschaft nicht nur historisch bedeutsam, sondern auch ein schützenswerter Naturraum, denn längst haben Tier- und Pflanzenwelt die leeren Kasernen, Bunker, Betonruinen und Rollbahnen zurückerobert. Insgesamt unterliegen 1400 Hektar der Gesamtfläche dem Biotopschutz. Es gibt zwei große Flora-Fauna-Habitat-Gebiete, Kummersdorfer Heide und Breiter Steinbusch, sowie zwei kleinere am Teufelssee und am Schulzensee. Seltene Pflanzen- und Tierarten sind hier heimisch. »Auch Wölfe sind in der Heidelandschaft wieder unterwegs«, sagt Preuß.
Die künftige Nutzung der Flächen, auf denen noch Blindgänger liegen, kann sich der BUND-Chef nur im Einklang von Natur- und Denkmalschutz vorstellen. Ihm schwebt ein »Museum in der Natur« vor, Heidepflege etwa, die die typischen Sichtachsen der früheren Artillerieschießbahnen wieder sichtbar werden lassen. Die Landesregierung setzt beim Potenzial der Liegenschaft eher auf alternative Energien. »Ich sehe die Entwicklungschancen von Sperenberg in punkto Energiewirtschaft positiv«, sagte etwa der für Kummersdorf zuständige Finanzminister Christian Görke (LINKE) dem »nd«. Preuß sieht dagegen eine rein wirtschaftliche Verwertung der Flächen kritisch.
Dass Kummersdorf als Ort der kritischen Auseinandersetzung mit der Vorbereitung und den Folgen der von Deutschland ausgelösten Weltkriege wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gehört, ist auch das wichtigste Anliegen von Norbert Wagner. Der Vorsitzende des Fördervereins kämpft mit seinen Mitstreitern um Aufmerksamkeit und Unterstützung durch das Land. Das mit Fundstücken und Informationsmaterial gut ausgestattete Museum fristet ein bescheidenes Dasein in der Konsumstraße außerhalb des abgezäunten Areals, es hat nur sonntags geöffnet, bietet aber Führungen in die gesperrte Zone an.
Wagner verwahrt sich dagegen, in die Nähe von Rechten, Militaristen gestellt zu werden, die den Krieg verherrlichen. »Das ganze Gegenteil ist der Fall«, stellt er klar. »Wir zeigen hier Militärtechnik, nicht um dafür zu werben, sondern um abzuschrecken.« Europa erlebe gerade ein Aufleben von Nationalbewusstsein, Abgrenzung und neuer Aufrüstung. Dagegen müsse man angehen, das Beispiel der früheren Heeresversuchsstelle Kummersdorf sei da lehrreich.
»Die größte und bis heute nachhaltige Bedeutung erhielt Kummersdorf während der Nazizeit«, schreibt der Museumsleiter in einem Beitrag für die Zeitschrift des brandenburgischen Museumsverbandes. »Genau hier wurden zwei historisch und weltpolitisch entscheidende Impulse ausgelöst: Die systematische Entwicklung der Technologie der flüssigkeitsgetriebenen Raketen ab 1932 in Kummersdorf führte letztlich in Peenemünde zur V2-Raketenwaffe.« Am Ende dieser Entwicklung stehen Interkontinentalraketen, die bis heute das Drohpotenzial der Großmächte prägen, sagt er.
Im Rahmen des Uranprojekts der Nazis hatten Wissenschaftler und Militärs seit 1940 am Rande von Kummersdorf, in Gottow, mit einem kleinen Versuchsreaktor experimentiert. Von der Atombombe bleiben sie weit entfernt. Aber, schreibt Wagner: »Die militärische Kombination der Rakete mit der Atombombe veränderte für immer die Welt; sie führte innerhalb von nur 20 Jahren zur größten Bedrohung der Menschheit.«
Dafür, dass Kummersdorf dem Vergessen entrissen wird, hat der Förderverein Räume der alten Hauptkaserne für das Ausstellungsprojekt »Krieg, Wissenschaft und Technik 1914 - 1945« hergerichtet. Im Rahmen des europäischen Kulturerbejahrs werden dort die über 60 Tafeln ab dem 18. August 2018 gezeigt. Vor zwei Jahren hatte Carsten Preuß diese Ausstellung im nordfranzösischen La Coupole nahe Calais entdeckt und endlich nach Kummersdorf geholt. Das Museum La Coupole liegt im Departement Pas-de-Calais an der Küste des Ärmelkanals. Es befindet sich in einem von einer riesigen Betonkuppel geschützten Raketenabschussbunker, den die Besatzer ab 1943 für den Beschuss von London mit V2-Terrorraketen errichtet hatten. Britische Bomber machten das Vorhaben 1944 zunichte. Die Ausstellung zeigt nun in Kummersdorf die Sicht von Franzosen und Engländern auf die eigene Kriegstechnik und damit auf das Wettrüsten jener Zeit. »Mit dieser Ausstellung schließt sich hier somit ein Kreis«, sagt Wagner.
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