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Jahrzehnt der Investitionen muss mal beginnen

Bauunternehmen beklagen Fachkräftemangel bei sich und in der Verwaltung

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Arbeitsgerüste sind wirklich rar in Berlin, das ist ein großes Problem«, sagt Klaus-Dieter Müller, Präsident der Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg. »Wir haben Schreiben von Gerüstbauern vorliegen, in denen sie darum bitten, von weiteren Aufträgen verschont zu werden«, berichtet er bei der Jahrespressekonferenz des Verbandes der kleinen und mittleren Unternehmen der Branche.

Das ist eine Auswirkung des aktuellen Baubooms, der Müller von einem »ausgesprochen positiven Stimmungsbild« sprechen lässt. »Wir stöhnen mal nicht«, so Müller. Allerdings gebe bei der öffentlichen Auftragsentwicklung in diesem Frühjahr keine Veränderung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das berichten zumindest über 80 Prozent der Berliner und über drei Viertel der Brandenburger Mitgliedsbetriebe in einer Umfrage der Fachgemeinschaft. Bei den restlichen Unternehmen halten sich Verbesserungen und Verschlechterungen etwa die Waage. »Der Zug ist noch im Tunnel beim Wohnungsbau«, so Müller.

»Es ist allerdings keine Besonderheit bei öffentlichen Auftraggebern, dass die immer etwas schleppend aus dem Winterschlaf kommen«, erklärt Müller. Mit dem Sommerferienbeginn starteten jedoch auch die Schulsanierungen. »Es gibt die Hoffnung, dass es im Herbst noch einmal zu einer kräftigen Belebung kommt«, sagt der Präsident.

Für das vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) ausgerufene Jahrzehnt der Investitionen sei die Verwaltung offensichtlich noch ganz stark in der Planungsphase. »Es gibt niemanden im Senat, der uns sagen kann, wann was passiert«, beklagt der Verbandschef. Doch je mehr von diesem Jahrzehnt ohne Bauinvestitionen verstreiche, desto größer werde der Druck. »Es wird unter Umständen einen großen Peak geben«, befürchtet Müller. Was zur Folge haben könnte, dass die öffentliche Hand auf sogenannte Generalunternehmer und -übernehmer setzen könnte. Die Koordination von Planungs- und Bauleistungen wird dann von dem vom Senat beauftragten Unternehmen geleistet. »Das ist eigentlich ausgeschlossen nach den Berliner Vergabegesetzen«, stellt Müller klar.

Die vom Senat geplante Auslagerung von Teilen des Schulneubaus an die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE nennt Müller eine »Umgehungskonstruktion«, um Vergaberegeln des Landes nicht einhalten zu müssen. Ein Vorgehen, gegen das auch die die Volksinitiative »Unsere Schulen« kämpft. In der vergangenen Woche hatten die Aktivisten über 30 000 Unterschriften an den Abgeordnetenhauspräsidenten Ralf Wieland übergeben. »Wir hoffen, dass eine Regierung, die sich im eigenen Selbstverständnis gesellschaftlich eher links einordnet, Privatisierung nicht verteidigt und ihre Pläne letztlich so verändert, dass das Öffentliche gestärkt statt privatisiert wird«, erklärte bei der Gelegenheit Laura Valentukeviciute, Vorstandsmitglied von der Trägerin der Volksinitiative, Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB).

Auch die Fachgemeinschaft Bau fordert, dass die Vergabestellen des Landes Berlin mit ausreichend Fachpersonal ausgestattet werden müssen. »Das sehen wir an die Wand fahren«, gibt sich Müller wenig optimistisch. Tatsächlich hat auch seine Branche mit gravierendem Fachkräftemangel zu kämpfen. Rund 600 Beschäftigte gehen jährlich in den Ruhestand, nur 130 bis 150 ausgelernte Azubis kommen hinzu. »Alle Baufirmen signalisieren auch ganz klar, dass wir auch Geflüchtete sehr gerne aufnehmen und zu Facharbeitern ausbilden würden«, sagt Müller. Da der Bau jedoch »schmutzig, anstrengend und witterungsabhängig« sei, halte sich auch dort das Interesse in Grenzen.

Einen Beitrag zur Beschäftigtengewinnung leistet der Verband derzeit auf einem ihm gehörenden Wilmersdorfer Grundstück. Dort entstehen 37 Wohnungen, die hauptsächlich den Mitgliedsunternehmen angeboten werden. »Natürlich können wir bei dem riesigen Rückstand nicht die Wende herbeibauen«, so Müller. Aber wenigstens einen kleinen Beitrag leisten.

Die »Musterbaustelle« soll auch ein Demonstrationsobjekt für den Kampf gegen Schwarzarbeit sein. »Jeder zweite Euro wird nach wie vor im Baubereich schwarz verdient«, beklagt Müller. Als einziger Verband kämpfe die Fachgemeinschaft aktiv dagegen. Der Präsident fordert mehr Engagement der Verwaltung bei deren Bekämpfung, zum Beispiel über eine verpflichtende Bescheinigung der Sozialkassen. Anhand der Auslastung der Beschäftigten lasse sich so sehr leicht ablesen, wer korrekt arbeite.

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