»Diese Mannschaft hält zusammen«

Ex-Bundesligaprofi Sergei Kirjakow traut Russland im Viertelfinale die nächste Überraschung zu

Was sagen Sie zum Abschneiden der Sbornaja?

Es ist eine unglaubliche Überraschung. Nicht nur die Ergebnisse, sondern auch wie wir gespielt haben, vor allem gegen Saudi-Arabien und Ägypten. Stark. Damit war schon das Mindestziel erreicht. Im Achtelfinale gegen Spanien sah es vielleicht nicht immer so schön aus, aber wir waren gut: kompakt aufgestellt und diszipliniert. Alle haben 120 Minuten füreinander gearbeitet.

Zur Person
Sergei Kirjakow, 48, spielte lange in Deutschland Fußball, so für den Karlsruher SC und den Hamburger SV. Jüngst rettete er als Trainer Arsenal Tula in der Premjer Liga vor dem Abstieg und war zuvor Nachwuchscoach beim russischen Verband. Am Rande der WM erzählte er Jirka Grahl, was die Erfolge der Nationalmannschaft fürs Land bedeuten, wie sie an diesem Samstag gegen Kroatien spielen sollte, und dass er es nicht bereue, auf seine einzige WM-Teilnahme verzichtet zu haben.

Was bedeutet das für Russland?

Es ist für das ganze Land fantastisch, unglaublich wichtig - gerade angesichts der politischen Situation. Wir wollen zeigen, dass wir nicht so sind, wie im Westen immer über uns geschrieben wird. Wir haben gezeigt, dass wir offen sind, ganz normale Leute, gastfreundlich. Wir lieben es, Freunde zu haben. Wir lieben es, diese Freunde einzuladen in unser Land.

Was erwarten Sie vom Viertelfinalspiel gegen Kroatien?

Vollen Einsatz. Die Spieler würden sterben für Ihr Land, die Mannschaft hält zusammen und jeder gibt sein Bestes. Die Moral ist überragend. Und im Fußball kann alles passieren. Vielleicht schaffen wir es ja wirklich, an den größten Erfolg von 1966 anzuknüpfen. Damals in England sind wir bis ins Halbfinale gekommen und wurden Vierter. Sollten wir jetzt etwas Ähnliches vollbringen: Die Leute würden verrückt spielen, glauben Sie mir! Sie haben ja keine Vorstellung!

Wie sollte Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow im Viertelfinale spielen lassen?

Kroatien agiert anders als die Spanier, viel schneller. Ehe man sich versieht, sind sie in den Strafraum eingedrungen. Rakitic, Modric, Mandzukic - denen dürfen wir nichts gestatten. Die Spanier haben wir machen lassen, aber bei den Kroaten müssen wir uns selbst um Ballbesitz bemühen, schnell ins Angriffsspiel umschalten. Ich könnte mir vorstellen, das Tschertschessow zwei Stürmer aufbietet: Dsjuba und Smolow.

Sie spielten in der Bundesliga in Karlsruhe, Tschertschessow in Dresden. Sind Sie gut befreundet?

Wir kennen uns vor allem aus der Nationalmannschaft. Freunde wäre die falsche Bezeichnung, aber wir stehen im Kontakt. Nach dem Sieg gegen Spanien hat er mir für die Glückwünsche gedankt. Nach den ersten Spielen hatte er noch nicht reagiert. Mir scheint, er ist lockerer geworden, nun da das Minimalziel erreicht ist.

Was für ein Typ ist er?

Ein unglaublich ehrgeiziger. Schon in seiner Zeit als Torwart war er das. Er hasst es zu verlieren. Und er kann hart arbeiten, wenn er sich ein Ziel gesetzt hat. Da macht er dann in aller Ruhe weiter, auch wenn ihm die Kritiker immer wieder zusetzen. So etwas perlt an ihm ab.

Sie haben in drei Nationalmannschaften gespielt: UdSSR, GUS und Russland? Für welche am liebsten?

Ach, es war doch immer dasselbe Land. Erst die Sowjetunion, dann die Zeit, in der wir nicht wussten, was passieren würde, und dann Russland. Ich bin froh, das alles miterlebt zu haben, auch wie sich mein Land verändert hat. Ich habe schöne Erinnerungen an diese Zeit.

1994 gehörten Sie zu den sieben Spielern, die sich wegen eines Streits über den Schuhausrüster weigerten, bei der WM mitzuspielen. Das blieb ihre letzte Chance. Schmerzt Sie das heute nicht?

Ein bisschen schon, gerade wenn ich das hier erlebe. Aber ich stehe noch heute zu unserer Entscheidung.

Wie lief das damals genau ab?

Wir hatten unsere Gründe, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Was macht den russischen Fußball heute aus?

Unsere Liga ist nicht mit der Bundesliga oder den Topligen in Spanien, Frankreich oder England vergleichbar. Aber wir sind auf dem Weg dahin. Wir haben jetzt neue Stadien und die Begeisterung von der WM.

Sie beklagen aber auch Nachwuchsprobleme. Wo hakt es denn?

Anders als in Deutschland, wo seit 2001 der Nachwuchs nach einem konkreten System ausgebildet wird, haben wir keinerlei durchgehendes Konzept. Wir müssen uns das bei den starken Nationen abgucken.

Welche Rolle spielt denn der alte Sowjetfußball heute noch?

Er ist und bleibt unser Fundament. Ich habe ja selbst noch in der UdSSR Fußballspielen gelernt. Es war eine harte Schule, aber eine, die mich stark gemacht hat: Als ich Anfang der 90er Jahre in die Bundesliga kam, war ich für alles gewappnet. Und unsere Vorbilder von damals gelten noch immer als beispielhaft: Trainer Waleri Lobanowski oder die Spieler Oleg Blochin und Oleg Protassow! Ich versuche als Trainer die Werte von damals zu vermitteln. Moral, Charakter, auch etwas Härte, die dazugehört.

Was machen Sie derzeit?

Ich bin frei. Zuletzt habe ich Arsenal Tula vor dem Abstieg gerettet. Dann habe ich dort aufgehört, noch mehr Abstiegskampf brauche ich nicht. Das hat mich zu viel Nerven und Kraft gekostet. Ich gehe davon aus, dass bald ein passenderes Angebot kommt.

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