UN-Sicherheitsrat tagt zu Syrien
Offensive im Südwesten des Landes treibt mehr als 271 000 Menschen in die Flucht
Im Südwesten Syriens will die syrische Armee die staatliche Kontrolle wiederherstellen. Militärische Einheiten rücken in Richtung der Grenze zu Jordanien und zu der Pufferzone auf den Golanhöhen vor, die von UN-Blauhelmen seit 1974 kontrolliert wird. Dutzende Kampfverbände haben die Waffen niedergelegt und die von ihnen gehaltenen Dörfer kampflos übergeben. Der UN-Sicherheitsrat kündigte an, sich an diesem Donnerstag in New York auf einer Dringlichkeitssitzung mit der Lage im Südwesten Syriens zu befassen.
Täglich meldet das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR neue Flüchtlingszahlen aus den Provinzen Deraa, Qunaitra und Sweida. Jordanien ist nicht bereit, seine Grenze für die Flüchtlinge zu öffnen. Israel, das 1967 jenseits der UN-Pufferzone einen Teil der syrischen Golanhöhen völkerrechtswidrig besetzt und 1981 annektiert hat, hat humanitäre Hilfsgüter an die Grenze geschickt.
Die Flüchtlingszahlen sind »Schätzungen«, wie die UN-Nothilfekoordination (OCHA) selber angibt. In dem OCHA-»Flash Update« Nummer 4 vom 2. Juli 2018 wird die Zahl der Flüchtlinge mit »schätzungsweise 271 800 Personen« angegeben. Etwa 60 000 davon seien in Richtung Jordanien gezogen und hielten sich im Umkreis des syrisch-jordanischen Grenzübergangs Nasib/Jaber auf. Etwa 164 000 Personen seien in die Provinz Qunaitra gezogen. OCHA bestätigte, dass die syrische Regierung am 27. Juni vier Fluchtkorridore in die von der Regierung kontrollierten Gebiete in der Provinz Deraa für Zivilisten geöffnet habe. 80 Personen seien in Krankenhäuser in Damaskus evakuiert worden. Rund 400 Familien seien ins Umland von Damaskus gezogen, eine Familie zählt für die UNO etwa fünf Personen. 2000 weitere Personen hätten sich vor den Kämpfen in die Provinz Sweida, östlich von Deraa, in Sicherheit gebracht.
Seit Mai 2018 hatte die syrische Armee die Kampfverbände aufgefordert, eine Friedenslösung zu finden und die Waffen niederzulegen. Mit Unterstützung von Offizieren des russischen »Zentrums für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien« wurden Verhandlungen angeboten. Wer die Waffen niederlege, werde amnestiert und könne bleiben. Wer weiter kämpfen wolle, werde an einen anderen Ort evakuiert. Die russische Militärpolizei solle die Sicherheit garantieren.
In Moskau warf der russische Außenminister Sergej Lavrov am Mittwoch nach einem Treffen mit seinem jordanischen Amtskollegen Ayman Safadi den USA vor, sie seien nicht in der Lage, die »Terroristen von den syrischen Oppositionsgruppen in der südlichen Region Syriens zu trennen«.
Die USA riet den Kampfgruppen, auf die Angebote der russischen Offiziere einzugehen; man werde die Kämpfer bei einer eventuellen Offensive der syrischen Streitkräfte nicht unterstützen. Jordanien ist sehr an der Rückkehr syrischer Autorität an die gemeinsame Grenze interessiert, um den Grenzübergang Nasib/ Ramtha wieder zu öffnen. Seit Beginn des Krieges in Syrien und seit der Schließung der gemeinsamen Grenze (2015) hat Jordanien jährlich rund 370 Millionen Jordanische Dinar (448 Millionen Euro) verloren.
Im Gespräch mit dem englischsprachigen Internetportal »Middle East Online« sagte Abdelsalam Thiabat, Präsident der Handelskammer von Ramtha, dass mehr als 4000 Geschäfte auf den Handel mit Syrien angewiesen seien. Außerdem lebten »mehr als 2000 Familien von dem Einkommen, das etwa 2000 Taxis und Lastwagen mit dem grenzüberschreitenden Warenverkehr erwirtschaften konnten«. Viele Händler hofften deshalb auf einen Sieg der syrischen Armee in Deraa.
Etliche Kampfverbände haben bereits die Waffen niedergelegt und Abkommen unterzeichnet. Andere Kämpfer der »Südlichen Front« bezeichneten die ihnen vorgelegte Vereinbarung als Aufforderung zu einer »entwürdigenden Kapitulation«. Sie hätten das Treffen verlassen, hieß es aus ungenannten diplomatischen Kreisen. Später seien sie aber - unter dem Druck von Jordanien - wieder an den Verhandlungstisch zurückgekehrt.
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