Die Bitcoin-Insel mitten in Berlin

Im Room 77 in Kreuzberg können die Kunden seit sieben Jahren in der Kryptowährung zahlen

  • Jasper Riemann
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Flo heute Abend die Kneipe verlässt, wird auf der Rechnung für seinen Burger mit Pommes und die bestellten Biere die Zahl 0,003 stehen. Um zu bezahlen, braucht Flo kein Portemonnaie, sondern sein Handy - Bargeld hat er sowieso nicht dabei. Denn Flo bezahlt mit Bitcoin, jener Kryptowährung, die seit mehreren Jahren die Finanzwelt in Aufregung versetzt. Derzeit entsprechen 0,003 Bitcoins gut 16 Euro. Flo und sein Freund Chris zählen an diesem Abend zu den ersten Gästen beim Bitcoin-Stammtisch im Room 77, einer Kneipe im Kreuzberger Graefekiez. Die alten Sofas und Stehlampen, der Mix aus Backstein und Tapete an den Wänden und ein Ventilator an der Decke lassen das Room 77 wie eine dieser typischen hippen Kiezbars erscheinen. Anders ist nur eins: das leuchtende »B«, das vom Fenster nach draußen strahlt - das Bitcoin-Logo.

Die Bitcoins sind keine Währung, die wie Euro oder Dollar von einer Zentralbank kontrolliert wird. Vielmehr handelt es sich um verschlüsselte Datenblöcke auf Computern. Der Wert schwankt stark, ähnlich wie bei anderen Cyberdevisen wie Ether und Ripple. Sie leiden seit Längerem unter mehreren Problemen, etwa Einbrüchen von Hackern in Handelsbörsen. Zentralbanken warnen vor spekulativen Übertreibungen und Totalverlust.

Room 77 akzeptiert seit gut sieben Jahren Bitcoins als Zahlungsmittel. Mittlerweile treffen sich an jedem ersten Donnerstag Bitcoin-Enthusiasten zum Stammtisch. Auch Flo ist ein regelmäßiger Gast. Er reist aus Stralsund an, wo er IT-Sicherheit studiert. Wer hier zuhört, bekommt schnell das Gefühl, in einer anderen Welt mit einer eigenen Sprache zu sein. Dabei ist das Grundprinzip von Bitcoin nicht schwer zu verstehen: Es ist digitales Geld. Doch während reguläre Währungen wie Euro oder Dollar von Banken gedruckt werden, wird Bitcoin von seinen Nutzern selbst geschaffen.

Bitcoins werden nicht einzeln auf den Computern seiner Besitzer aufbewahrt, sondern in einer großen Datenbank - der sogenannten Blockchain -, die auf vielen Rechnern gleichzeitig gespeichert ist. Darin stehen alle Überweisungen, die zwischen Bitcoin-Konten getätigt werden. Dieses dezentrale System kommt ohne Staaten und Banken aus.

Während es langsam voller wird, erzählen Flo und sein Freund Chris von Möglichkeiten, wie digitale Währungen die Welt verbessern könnten: Tausende Afrikaner hätten ein Smartphone, sagen sie, aber keinen Zugang zu Banken - virtuelles Geld sei die Lösung. Oder: Blockchains könnten die Grundbücher ersetzen, Notare und deren hohe Gebühren würden überflüssig.

Wovon Flo und Chris hingegen nicht reden: Bitcoin hat vor allem viele Menschen reich gemacht. Auch sie selbst haben profitiert. Darauf angesprochen gibt Flo zu, in Euro umgerechnet einen fünfstelligen Betrag in digitalen Währungen zu besitzen. Nach den anderen Gästen im Room 77 gefragt, sagt Chris: »Definitiv sitzen hier ein paar Millionäre. Ganz sicher.« Denn im vergangenen Jahr explodierte der Bitcoin-Kurs. Anfang 2017 entsprach 1 Bitcoin knapp 1000 US-Dollar. Mitte Dezember waren es fast 20 000 Dollar. Am Montag waren es laut Handelsplattform Bitstamp rund 6336 Dollar. Wer reich geworden ist - darüber herrscht im Room 77 Diskretion. Das ist einer der Gründe, warum Flo und Chris ihre Nachnamen nicht veröffentlichen wollen.

Auch der Besitzer der Kneipe, Jörg Platzer, möchte keine Zahlen nennen. Schon seit den 1980er Jahren sei er in der Szene der digitalen Zahlungsmittel unterwegs, sagt der 51-Jährige. Vor einigen Jahren schrieb er sogar ein Buch über Bitcoin. Doch mit Spekulanten will er nichts zu tun haben: »Ich bin kein Investor, ich bin Anarchist.« Für ihn steht fest: »Bitcoin wird andere Geldarten verdrängen.« Nicht nur das. Der gesamte »Finanzfeudalismus« werde zusammenbrechen, die Blase platzen wie damals in den USA ab 2007. Am Ende werde Bitcoin überleben: die Währung der Zukunft.

Tatsächlich hat Bitcoin das Leben einiger Menschen radikal verändert. Die Nacht ist angebrochen, die Gäste trinken ihr zweites oder drittes Bier. Dann erzählt Felix Weis, ein 30-jähriger Programmierer, wie er sechs Jahre lang Geld für eine Weltreise sparte, um es vor dreieinhalb Jahren komplett in Bitcoin einzutauschen. Sein Experiment: Einmal um die Welt, nur mit Bitcoins. Nach der Weltreise hatte er noch die Hälfte seiner Bitcoins übrig. Dann kamen die Kurssteigerungen. Jetzt müsse er nicht mehr arbeiten, sagt er. Zum Stammtisch im Room 77 kommt er nur, wenn er gerade in Deutschland ist. Die restliche Zeit reist er durch die Welt und berät Firmen und Behörden zum Thema Bitcoin. Das Room 77 ist an diesem Abend voll von Visionen der Weltverbesserung und Geschichten vom schnellen Reichtum. Doch noch existieren diese Erzählungen vor allem in der Szene. Vielen Bürgern ist das Thema suspekt, sogar im Graefekiez, der bereits als Bitcoin-Kiez bezeichnet wurde. dpa/nd

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