Deutsches Gold
Die Russen und der Schnaps, ein ewiges Thema: Dass die Lebenserwartung russischer Männer zwar gestiegen, aber mit 66,5 Jahren immer noch beängstigend niedrig ist, hat die Regierung auf den Plan gerufen. Seit 2009 wird ein großes Anti-Alkohol-Konzept umgesetzt, um den Alkoholmissbrauch zu verringern. Es gibt fast keine Alkoholwerbung mehr, dazu Mindestpreise für Wodka. In den Nachtzügen ist mitgebrachter Alkohol verboten und wer an öffentlichen Plätzen trinkt, wird mit Bußgeldern bestraft.
Zudem gibt es in den Geschäften ein Verkaufsverbot für Alkohol von 23 Uhr bis 8 Uhr, das man aber mit etwas Freundlichkeit offenbar leicht umgehen kann. Als ich neulich auf dem Heimweg war und in einem der unzähligen 24-Stunden-Geschäfte ein Feierabendbier kaufen wollte, hatte ich diese Feinheit der russischen Gesetzgebung schon wieder vergessen. Ratlos stand ich vor dem verriegelten Kühlschrank. Doch weil außer mir niemand im Laden war, brauchte es nur einen flehentlichen Blick zur Verkäuferin, die ihren Pappenheimer längst erkannt hatte: Gönnerhaft schmunzelnd drückte sie auf die Fernbedienung, die Kühlschrankentriegelung klackte. Ich nahm zwei eiskalte Büchsen »Schiguli« und ging zur Kasse, wo sich das Schmunzeln der Verkäuferin allerdings in unwirsches Gestikulieren verändert hatte: Einpacken, einpacken! Erst als die zwei Dosen in meinem Rucksack verschwunden waren, entspannte sie sich wieder etwas.
Die Russen fragen oft, wie wir denn ihr Bier finden. Als Deutscher gilt man in dieser Frage als Autorität. Wenn ich mit meinem profanen Biergeschmack (Pilsner, sonst nix) sage: »Ach, gar nicht so schlecht!«, wollen sie mir kaum glauben.
Dabei haben die Russen auch eine Bierkultur. In Kasan beispielsweise hält man es locker mit dem Sponsorenschutz: Während es anderswo am Stadion nur »Bud« gibt, kann man sich hier direkt neben der WM-Arena Bierspezialitäten zapfen lassen, sogar an Spieltagen: Im »Bir-Kraft«, in dem etwa drei Dutzend Hähne aus der Wand ragen, aus denen deutsches, tschechisches, holländisches und allerlei einheimisches Bier gezapft wird - in Plasteflaschen mit gelbem Deckel. Wer's gleich trinken will, bekommt eine Papiertüte - russisch: Paket - herumgewickelt.
So auch ich am Samstag vorm Spiel. Es waren 31 Grad. Ich hatte Durst und außer Kwass gabs nichts Alkoholfreies: Eine Notsituation, die Bier im Dienst rechtfertigte. Ich kaufte mir »Nemetzkoje Solotoje« (Deutsches Gold), ein Liter für einen Euro, und prostete den singenden Argentiniern zu - nicht ganz ohne Tücke: Ich ahnte, dass sie alle nach dem Match noch einige Biere brauchen würden: Salud! Und Adios!
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