Gesetze machen in Gummilatschen
Streit über Kleiderordnung im Bremer Parlament
Das Foto zeigt die nackten Füße einer Frau im Sommerkleid. Mit angezogenen Beinen sitzt sie auf einem roten Sessel. Ganz schön lässig. Zu lässig, finden manche. Denn die Füße gehören der Bremer Grünen-Abgeordneten Kai Wargalla, die gerade im Plenarsaal des Landtags sitzt und ein Bild davon auf Twitter postet. Das und die luftigen Outfits anderer Volksvertreter riefen Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) auf den Plan: Eine Art Kleiderordnung soll jetzt die Würde des Bremer Parlaments retten.
Nach der Sommerpause will der Vorstand des Landtags einen Verhaltenskodex erarbeiten - dabei soll auch die angemessene Kleidung für Abgeordnete eine Rolle spielen. Doch was ist für Politiker angemessen? Im Bundestag gibt es keinen festgeschriebenen Dresscode, nur einen Verhaltenskodex in der Hausordnung. Danach dürfen Politiker und Besucher keine Kleidung tragen, die eine Meinung bekundet. In den Landtagen gibt es ebenfalls keine ausdrückliche Kleiderordnung. Trotzdem sorgen die Outfits von Politikern immer wieder für Furore. So bekam eine Düsseldorfer Landtagsabgeordnete 2012 Redeverbot, als sie wegen Blasen barfuß zum Rednerpult lief.
Im Berliner Abgeordnetenhaus gab es Protest gegen einen Piraten-Parlamentarier, der Latzhose und Kopftuch zu seinem Markenzeichen machte. Und die CSU-Politikerin Dorothee Bär musste sich im Bundestag kritisieren lassen, weil sie ein FC Bayern-Trikot unter dem Blazer trug.
Doch seit Joschka Fischers legendärem Turnschuh-Auftritt bei seiner Vereidigung als Umweltminister in Hessen und dem Einzug der Grünen in den Bundestag mit ihren Wollpullis in den 1980er Jahren hat sich viel geändert. Turnschuhe sind in den Parlamenten Alltag, Krawatte oder Fliege gehören nicht mehr zur inoffiziellen Etikette. Was die Volksvertreter heute tragen, ist vor allem eine Frage des Geschmacks.
Die Bremer Abgeordnete Wargalla kann den Ärger um ihre nackten Füße daher nicht nachvollziehen. »Der Respekt vor der Würde des Parlaments drückt sich nicht im fehlenden Schuhwerk aus, sondern in Taten und Worten«, meint sie. Dem kann ihr Linkspartei-Kollege Peter Erlanson nur beipflichten. Er kam wegen der Hitze in Shorts und Gummilatschen in die Bürgerschaft. »Ein modernes Parlament will ein Abbild der Gesellschaft sein«, findet er. Da müssten auch verschiedene Menschen, Kulturen und Geschmäcker zugelassen sein.
Auch wenn es nur um so etwas Banales wie Kleidung geht - der Bremer Politikwissenschaftler Andreas Klee findet das eine wichtige Debatte. »Es gibt eine immer stärkere Distanzierung zwischen Politik und Bevölkerung.« In den Parlamenten sehe man vor allem ein uniformes Heer aus blauen Anzügen, weißen Hemden und Krawatten. Doch die meisten Bürger würden so nicht herumlaufen - zum Teil selbst nicht zu besonderen Anlässen. Deshalb sei die Frage: »Bilden Flipflops nicht eher die Normalität ab?« Spätestens bis zur Bürgerschaftswahl im nächsten Jahr soll der Verhaltenskodex für die Bremer Abgeordneten fertig sein. Ob der Dresscode dann Latschen zulässt, bleibt abzuwarten. dpa/nd
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