Der Staatsanwalt hat das Wort
Verfahren zur Besetzung der Fachhochschule Potsdam nach wenigen Minuten vertagt
Am Eingang zum Gericht in der Potsdamer Jägerallee durchleuchten Justizbeamte die mitgebrachten Taschen und Rucksäcke und behalten sie danach gleich ein. Die Besucher müssen durch eine Sicherheitsschleuse, wie man sie von Flughäfen kennt. Eine Etage höher, vor dem Gerichtssaal 20, stehen dann mehrere Polizisten, nehmen auch noch die Mobiltelefone weg und tasten die Zuschauer ab. Die Prozedur dauert insgesamt eine Stunde. Als die Verhandlung endlich beginnt, dauert sie nur wenige Minuten. Fortsetzung folgt.
Angeklagt ist Simon W., der am 13. Juli 2017 zu den mehr als 50 Menschen gehörte, die kurz vor dessen Schließung das Fachhochschulgebäude am Potsdamer Alten Markt besetzten. Sie wollten so den Abriss verhindern und gegen die Privatisierung des Grundstücks protestieren. Inzwischen haben Bagger den markanten Gebäuderiegel bereits in zwei Hälften gerissen. Von einem Teil der Konstruktion ist nur noch ein Schutthaufen übrig.
Simon W. hat also verloren. Jedoch ist die Sache für ihn damit nicht erledigt. Dem jungen Mann wird vorgeworfen, bei der Räumung des Gebäudes durch die Polizei Widerstand gegen die Beamten geleistet zu haben - und das sieht die Justiz nicht als Kavaliersdelikt an. Am Dienstag um 15.20 Uhr sollte der Prozess gegen Simon W. beginnen, als erstes Verfahren zur Besetzung der Fachhochschule. »Wir wissen bisher von zwei Prozessen«, sagt Lutz Boede von der linksalternativen Wählergruppe »Die Andere«. Die Verhandlung beginnt mit erheblicher Verzögerung. Endlich sind alle Zuschauerplätze auf zwei Reihen Klappsitzen belegt. Der Richter bietet großzügig noch Stühle an, sogar am Tisch hinter dem Angeklagten. Auch ein enges Zusammenrücken auf den Klappsitzen erlaubt er. Nur Stehplätze lässt er nicht zu. Schließlich sind 29 Zuschauer im Saal, und 20 Unterstützer von Simon W. stehen noch draußen. Sein Verteidiger Felix Isensee ist damit nicht einverstanden, zumal ein halbes Dutzend Plätze durch Justizreferendare blockiert ist, die für ihre Ausbildung auch schon vorangehende Prozesse verfolgt haben. Anwalt Isensee erkennt die Bemühungen des Richters an, viele Unterstützer hineinzulassen. Er beschwert sich aber, dass es augenscheinlich ein öffentliches Interesse an diesem Verfahren gebe und dass es kein Zustand sei, wenn die Referendare bevorzugt werden und die Hälfte der Unterstützer abgewiesen wird. Isensee beantragt die Verlegung in einen größeren Saal - den größten verfügbaren um die Ecke in der Hegelallee.
Der Richter bedauert und hat die Ablehnung des Ansinnens schon auf den Lippen, vergewissert sich aber beim Staatsanwalt, was dieser davon halte. Der erklärt überraschend, er wolle ein politisch brisantes Verfahren ungern damit starten, dass die Gegenseite sich behindert fühlt. Von ihm aus könne man versuchen, den größeren Saal zu bekommen. Sofort umziehen, das geht aber nicht. Der Richter schaut in seinen Kalender und bestimmt als neuen Termin den 15. Oktober. Anwalt Isensee ist verblüfft. Er hatte damit gerechnet, dass sein Antrag abgelehnt wird. »Jetzt musst du aber dafür sorgen, dass am 15. Oktober wieder viele Unterstützer kommen«, sagt er leise zu seinem Mandanten. Frühestens im Oktober kann gerichtlich geklärt werden, was an dem Vorwurf gegen Simon W. dran ist. Seine Unterstützer, die vor dem Gericht eine Kundgebung abhielten, werfen ihrerseits der Polizei vor, im Juli 2017 auf eine friedliche Menge eingeprügelt, Pfefferspray eingesetzt und Menschen die Treppen runtergeschubst zu haben. Auch seien die Besetzer rabiat aus dem Haus gezerrt worden, anstatt sie wegzutragen.
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