Entzündliche Unruheherde
Rätselhafte Brandserien auf polnischen Müllhalden
In den letzten Wochen stehen in Polen nahezu täglich Mülldeponien in Flammen. Die Brände halten sich zumeist im relativ bescheidenen Rahmen, doch zum Beispiel in Zgierz bei Łódź brannten am vergangenen Freitag circa 50 000 Tonnen Abfall aus. Inzwischen beschäftigt die rätselhafte Brandserie nicht nur die polnische Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern selbst die Regierung in Warschau. «Mittlerweile sind wir uns sicher, dass es sich nicht um Zufälle handelt, sondern um koordinierte Brandstiftungen innerhalb kürzester Zeit. Das Maß ist voll. Es ist kein lokales, sondern ein landesweites Problem. Wir nehmen diese Ereignisse sehr ernst und werden dagegen vorgehen», versicherte Regierungschef Mateusz Morawiecki.
Über sechzig Müllberge seien in diesem Jahr in Polen bereits abgebrannt. Es sei inakzeptabel, dass man alljährlich mühevoll den Smog in Großstädten bekämpfe, während zugleich toxische Rauchschwaden über das Land ziehen, so der polnische Premier.
Auch Innenminister Joachim Brudziński vermutet einen Zusammenhang weit über Polen hinaus. «Diese ›Zufälle‹ hängen erkennbar damit zusammen, dass China den eigenen Markt für Abfälle aus Europa geschlossen hat. Seitdem merken wir, dass zunehmend illegaler Abfall nach Polen gebracht wird, der hier nichts zu suchen hat. Die Polizei und der Grenzschutz sind alarmiert», sagt der PiS-Politiker. Kaczyńskis potenzieller Nachfolger glaubt, die Brände seien auf organisiertes Verbrechen zurückzuführen. Seitdem China Europa weniger Müll abnimmt, sei es für die Müllmafia profitabel, giftigen Abfall aus Großbritannien oder etwa Deutschland in Polen zu entsorgen, so Brudziński. Die beteiligten «Scheinfirmen» lassen sich von einer lokalen Behörde eine Genehmigung für recycelbaren Abfall ausstellen. Dieses Vorgehen werde kaum kontrolliert.
Die Müllberge nehmen gigantische Ausmaße an, kostspielig recycelt wird indessen so gut wie gar nichts. Sobald die Genehmigung ausläuft, verschwinden die Firmen spurlos. Die Müllberge wiederum - darunter giftige Chemikalien, Medizinrückstände und Autoreifen - werden schließlich angezündet. Die illegalen Betreiber können am Ende sogar noch behaupten, sie seien Opfer eines unglücklichen Zufalls. Ganz abwegig ist dies nicht. Es kann durchaus vorkommen, dass die oftmals toxischen und leicht entzündlichen Rückstände rasch Feuer fangen. Überdies sind auf den nachts unbeaufsichtigten Müllhalden obdachlose Menschen unterwegs, die kleine Lagerfeuer entzünden.
Zufall oder nicht: Am Ende bekommt der Betreiber noch eine satte Entschädigung von der Versicherung. Dass es in der Mehrheit der Fälle nicht immer mit rechten Dingen zugeht, belegt allein die Tatsache, dass nach solchen Bränden die Firmen (und deren Betreiber) meistens spurlos verschwinden. Das Problem sei nicht neu, bereits im letzten Jahr hätte es über hundert Brände auf Mülldeponien gegeben, so das polnische Umweltministerium. «Viele Betreiber sind ehrlich und halten sich vorwiegend an die Regeln. Sie erleiden aufgrund der mafiösen Konkurrenz und klaffenden juristischen Grauzone herbe Verluste. Sie bitten die Regierung seit Jahren um klare rechtliche Standards in ihrer Branche, um strengere Regeln und Kontrollen.
Die wird es auch bald geben, »spätestens in zwei Wochen«, versichert der Pressesprecher des Ministeriums Aleksander Brzózka. Höhere Kautionen und Strafen sollen die Spielräume der Müllmafia weiter eingrenzen, damit die Gemeinden nicht auf den Müllbergen sitzenbleiben, heißt es. Doch die Anreize, illegale Müllhalden zu betreiben, sind in Polen weiterhin überaus hoch. Für die Entsorgung von einer Tonne Müll gibt es ungefähr 300 Złoty, umgerechnet rund 75 Euro. Der Brand in Zgierz bei Łódź brachte den dortigen Betreibern vergangene Woche 3,5 Millionen Euro ein.
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