Hartes Brot für bildende Kunst

Enquetekommission des Landtags debattiert über Kultur im ländlichen Raum

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

»Was macht die Kunst?« So fragt in Gotthold Ephraim Lessings Schauspiel »Emilia Galotti« der Prinz. Der Maler antwortet: »Die Kunst geht nach Brot.« Dass die Kunst im Land mit der Befriedigung dieses elementaren Bedürfnisses ihre liebe Not hat, legte Petra Schmidt-Dreyblatt, Geschäftsführerin des Brandenburgischen Verbandes Bildender Künstlerinnen & Künstler, dar, als sie sich in der Enquetekommission zur Zukunft des ländlichen Raums zur Situation der bildenden Künstler in Brandenburg äußerte. Ihre in diesem Rahmen nicht beantwortete Frage lautete: »Wie können die Künstler überleben?«

Was sich hier nach der Wende ereignet hat, ist besorgniserregend, unterstrich die Geschäftsführerin. Nach ihrer Kenntnis gibt keineswegs wenige bildende Künstler in Brandenburg, nämlich 1191, darunter 633 Frauen. Etwa ein Drittel von ihnen ist im Verband organisiert. Im Schnitt verfügen die bildenden Künstler über ein Jahreseinkommen von lediglich 14 000 Euro im Jahr. Dabei gibt es einen gravierenden Abstand zwischen Frauen und Männern, denn die Künstlerinnen verdienen mit ihrer Arbeit im Jahr sogar nur wenig mehr als 6000 Euro, ihre männlichen Kollegen bringen es immerhin auf ein Durchschnittseinkommen von 22 000 Euro. »Es ist eigentlich ein Skandal«, sagte die Verbandsfunktionärin angesichts der Schwierigkeiten vieler Kunstschaffender, selbst von vermeintlich seriösen Auftraggebern angemessen bezahlt zu werden. Die Künstler erwarten zu Recht wenigstens einen symbolischen Gegenwert für ihre Arbeit, erklärte Schmidt-Dreyblatt.

Hinzu kommt, dass bildende Künstler im Land Brandenburg zumeist älteren Jahrgängen angehören. Die größte Gruppe (442 Künstler) sind zwischen 50 und 60 Jahre alt, knapp 300 sind älter als 60 Jahre. Hier stelle sich die Frage der kritischen sozialen Situation von Künstlerin im Rentenalter, so Petra Schmidt-Dreyblatt. Ganze 16 bildende Künstler im Bundesland sind 30 Jahre und jünger. Das führte die Geschäftsführerin darauf zurück, dass es die künstlerische Ausbildung und vor allem die künstlerisch-pädagogische Ausbildung, die es bis 1990 noch gab, seither in Brandenburg nicht mehr gibt.

Dabei sind nicht alle Künstler, die sich in Brandenburg niedergelassen haben, arm, ergänzte die Verbandsvorsitzende Jutta Pelz. Es gebe durchaus Künstler, die in Berlin reüssieren und sich leisten können, einen Dreiseit- oder Vierseithof in Brandenburg zu kaufen. Pelz verwies auf Beispiele, bei denen international oder auch national bekannte Künstler gemeinsame Projekte mit Künstlern realisieren, die den Menschen lediglich in ihrem Dorf ein Begriff sind.

Der Präsident des Deutschen Kulturrates, Professor Christian Höpp᠆ner, warnte vor zu hohen Erwartungen an das Ehrenamt in der Kunst und vor einer Überfrachtung. Es sei vieles auch eine Frage der staatlichen Unterstützung. Unterrichtsausfall gerade im Fach Musik, extrem niedrige Einkommen von Musikschullehrern würden letztlich eine Gefahr für die kulturelle Struktur darstellen.

Phillip Riecken vom brandenburgischen Kulturministerium ging nicht auf die soziale Lage der Künstler ein, er hob dagegen die Vielfalt der »Netzwerke« hervor. Die Landesregierung könne Hilfe bei einzelnen Projekten anbieten.

Michael Thomas, der für die LINKE in der Enquetekommission mitarbeitet, machte auf den abgrundtiefen Unterschied zwischen der Lage in Berlin-Nähe und der »kulturellen Wüste« in den Randeregionen des Landes aufmerksam. Von den Umbruchprozessen, die seit fast 30 Jahren andauern, habe sich die Peripherie bis heute nicht erholt. Nach wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Ankern solle es nun also auch die kulturellen Anker geben. Möglicherweise sei das Anker-Konzept mit alldem etwas überfordert. Thomas stellte den vielfach nicht gelösten Umgang mit Industriebrachen und DDR-Kulturhäusern als Problem in den Raum.

Der Landtagsabgeordnete Henryk Wichmann (CDU) forderte eine staatliche Unterstützung für die Kunst im ländlichen Raum, damit dieser nicht weiter abgehängt werde. Die SPD-Abgeordnete Ulrike Liedtke rang mit der Definition des Kultur-Begriffs und stellte fest, dass Kultur eben »alles« sei, und - so gesehen - der eigentlich größte Posten im Landeshaushalt sein müsste. Liedtke drückte ihre Freude darüber aus, dass die zentrale Landesausstellung zum kommenden Fontane-Jahr 2019 in Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin) und eben nicht in der Landeshauptstadt stattfinden werde.

Die SPD-Politikerin machte auch auf verbreitete Defizite im Umgang mit Kultur im weiteren Sinne aufmerksam. So erinnerte sie daran, dass seinerzeit auf dem Zehn-Mark-Schein der DDR die Schaltzentrale des damaligen Kernkraftwerks Rheinsberg (Ostprignitz-Ruppin) abgebildet war. Man müsse dieses Kraftwerk - 1960 als erster wirtschaftlich genutzter Atommeiler der DDR und erster seiner Art auf deutschem Boden - als technisches Denkmal erhalten. Dies sei in den ersten Nachwendejahren von den zuständigen Stellen noch definitiv abgelehnt worden.

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