- Politik
- Ungarn nach der Wahl
Orbán bleibt von Kritik unbeeindruckt
In Budapest ist weiter kompromissloses Durchregieren angesagt
Vor den Toren von Ungarns Parlament trugen die Gesetzeshüter im Sitzstreik verharrende Demonstranten vom abgeriegelten Platz. Im Sitzungssaal des hohen Hauses nahm Dauerpremier Viktor Orbán bei der konstituierenden Parlamentssitzung am Dienstag derweil mit zufriedenen Lächeln auf der vertrauten Regierungsbank Platz: Wie nicht anders erwartet hatte Präsident Janos Ader den Chef der nationalpopulistischen Fidesz-Partei schon am Vortag mit der erneuten Regierungsbildung beauftragt.
Gestärkt durch den überzeugenden Fidesz-Sieg bei der Parlamentswahl im April startet der selbstbewusste Apostel einer Politik des nationalen Egoismus in seine vierte Amtszeit. Mit dem Rekordergebnis von 49,28 Prozent der Stimmen hat Fidesz sich im Parlament erneut eine Zweidrittelmehrheit verschafft. Bisher habe er die Regierung nur geführt, nun werde er sie »lenken«, kündigte Orbán vor Antritt seines neuen Mandats an.
In Budapest ist mit der Schaffung eines dem allgewaltigen Orbán direkt unterstellten Regierungsbüros weiter kompromissloses Durchregieren angesagt. Trotz mancher unerwarteter Personalrochaden wie der Ablösung des einflussreichen Janos Lazar als Chef des Ministerpräsidentenamts lässt der umstrittene EU-Störenfried weder auf dem heimischen noch auf dem internationalen Parkett irgendein Anzeichen einer Kurskorrektur erkennen. »Wir werden die ungarische Kultur verteidigen. Wir werden das Land nicht Fremden übergeben«, wiederholte Orbán am Wochenende die bei den Wahlen erfolgreiche Fidesz-Doktrin.
In Ungarn müssen sich die gegängelte Opposition, Bürgerrechtsgruppen und die verbliebenen unabhängigen Medien auf noch repressivere Zeiten gefasst machen: Journalisten regierungskritischer Medien wurde am Dienstag der Zugang zum Parlament verwehrt. Regierungsnahe Blätter haben in den letzten Tagen derweil nicht nur eine Liste von 200 heimischen »Söldnern« des amerikanischen Milliardärs George Soros veröffentlicht, sondern auch eine Liste missliebiger Auslandsjournalisten - darunter die Korrespondenten von renommierten internationalen Medien wie dpa, »Spiegel Online«, ORF, NZZ oder »Libération«.
Verstärkten Druck dürften mit der angekündigten Verabschiedung eines »Stop-Soros«-Gesetzpakets vor allem die Bürgerrechtsgruppen verspüren, die sich für die Rechte der in Ungarn völlig marginalisierten Flüchtlinge einsetzen: Künftig benötigen sie eine Zulassung des Innenministeriums und müssen 25 Prozent ihrer ausländischen Spenden als Steuern für die Finanzierung der Grenzschutzanlagen abführen. Gleichzeitig droht ihren ausländischen Mitarbeitern bei vermeintlicher »Unterstützung von Migration« die Ausweisung. Für die EU, aber auch für den EVP-Verband der christdemokratischen Schwesterparteien, wird der streitbare Solist Orbán ein unbequemer Problempartner bleiben.
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