Wie Potsdam wurde, was es ist

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn sich der Rezensent nicht grundsätzlich vor Übertreibungen hüten sollte, dann müsste er schreiben: »Potsdam-Bücher gibt es wie Sand am Meer.« Joachim Nölte begibt sich also mit seinem recht schweren Band »Potsdam. Wie es wurde, was es ist« keineswegs auf ein unbeackertes Feld. Was aber ist das »Alleinstellungsmerkmal« des im März veröffentlichten Bandes mit seinen 280 Seiten, zahlreichen Bildern, Fotos, Karten und Porträtzeichnungen? Praktisch alle Potsdam-Bücher, die nach der Wende erschienen, behandeln die Phase zwischen 1945 und 1990, also die Zeit der sowjetischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg und die nachfolgenden vier Jahrzehnte DDR als einen Problemfall der Stadtgeschichte, wenn sie diese Phase überhaupt der Betrachtung wert erachten.

Die DDR, und nicht etwa die grauenhaften militaristischen Traditionen, die in Faschismus, Krieg und Zerstörung des barocken Stadtzentrums mündeten, steht sonst am Pranger, wenn über das »preußische Arkadien«, die »Perle am Havelstrand«, das »Juwel« geschwärmt wird.

Joachim Nölte dagegen spricht von Potsdam als einem »eigenartigen Gebilde«, das in 200 Jahren eine steile Karriere hingelegt habe - vom elenden Kaff zur Kaiserresidenz. In zehn Kapiteln nähert er sich unter anderem der Beantwortung der Frage, was es für die Potsdamer bedeutet, in einer mit Kunstdenkmälern verwöhnten Stadt zu leben und doch im Alltag bestehen und mit sehr schwierigen Seiten der Stadtgeschichte umgehen zu müssen. Gibt es wirklich nur die Kontinuität von der königlichen Sommer- und Parkresidenz über einen regelrechten Kaiserhof, die allein es wert sein soll, dass man an sie anknüpft? Sicher - es gefällt den Touristen, dieses aufwändig, in aller Schloss- und Villenschönheit entstandene alte neue Potsdam. Und doch schwebt über all dem eine merkwürdige Sinnleere, eine fühlbare Leichtgewichtigkeit. Ja, das heutige Potsdam ist »schön«, gleichwohl trägt diese Schönheit kein besonders kluges Gesicht.

Das Buch von Nölte enthält neben einer Reihe historischer Betrachtungen ein ausführliches Kapitel zur Entwicklung Potsdams nach dem Zweiten Weltkrieg. Es trägt die Überschrift »Unter der Flagge des Sozialismus«. Darin schildert der Autor den Versuch, nach dem Krieg und der Bombennacht vom 14. April 1945 einen alternativen Entwurf zum historischen Potsdam zu schaffen, ohne die Stadtgeschichte völlig aus dem Blick zu verlieren. Es gab einen neuem Umgang mit dem Erbe und einen Versuch, diese Stadt mit begrenzten Mitteln anders zu konzipieren.

Natürlich war vieles aus der Not geboren. Nölte schont die politisch Verantwortlichen keineswegs. Er beschreibt auch Negativbeispiele, Borniertheit, Fehler. Aber bei ihm reduziert sich der Blick nicht auf diese Seiten. Man versteht, warum der eine oder die andere tatsächlich die Schaffung von Wohnraum, Schulen und Kindergärten in der zerbombten, mit Flüchtlingen überfüllten Stadt für wichtiger hielten als der Erhalt der Garnisonkirchenruine.

1990 begann die Korrektur an dieser Alternative - mit viel Geld, viel Geschmack, viel handwerklichem Können und viel Unduldsamkeit.

Joachim Nölte weiß, wovon er schreibt. Er hat bis zur Rente als Werbetexter für den Tourismus in Brandenburg gearbeitet und diverse Reiseführer verfasst. Nunmehr hat er ein Buch vorgelegt, das zeigt: Potsdam ist kein Fall für schnelle und knappe Antworten.

»Potsdam. Wie es wurde, was es ist - Geschichte der Stadt in zehn Kapiteln«, Edition Terra, 280 Seiten, 28 Euro

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