• Brandenburg
  • Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke

Tatendrang und ein bisschen Angst

Frankfurts neuer Oberbürgermeister René Wilke (LINKE) wird Sonntag ins Amt eingeführt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Sehen wir uns am 6. Mai in der Sankt Marienkirche?«, fragt der Landtagsabgeordnete René Wilke (LINKE), dessen Mandat in der Nacht zum Sonntag erlischt. 14 Stunden später wird er in der Kirche in sein neues Amt eingeführt. Mit 33 Jahren wird er Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) - der jüngste Oberbürgermeister im Land Brandenburg. Alle Frankfurter sind zu dem Festakt eingeladen, bei dem ein Bläserquintett des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt für die passende Musik sorgen wird. In der Einladung werden Gäste gebeten, wegen der Temperaturen in der Kirche an warme Kleidung zu denken.

Verabschiedet wird der bisherige Oberbürgermeister Martin Wilke (parteilos), der mit seinem Nachfolger René Wilke weder verwandt noch verschwägert ist. Dann übernimmt der Neue, der ihn in der Stichwahl am 18. März klar geschlagen hat.

Völlig überraschend war das nicht, zumindest nicht für Eingeweihte. Gilt Frankfurt (Oder) doch schon lange als eine Hochburg der Linkspartei. Für Furore hat es dennoch gesorgt und das bundesweit. Seit seinem Wahlsieg musste René Wilke etliche Interviews geben und sollte erklären, wie er das geschafft hat. Denn nach den Wahlerfolgen der AfD in Ostdeutschland war die LINKE aus dem Blickfeld geraten. Siege traute man ihr schon nicht mehr zu.

Doch Wilkes Kampagne unter dem Motto »Frankfurt geht besser« lässt sich nicht einfach kopieren, indem der Name des Kandidaten und der Stadt ausgetauscht wird. Dabei ist die Strategie im Kern simpel und nicht einmal neu. Sie belebt mit ein paar Modernisierungen die alten Stärken der alten PDS: Da ist der Genosse, der den Menschen zuhört und sich um ihre Probleme kümmert - ein ehrlicher Typ ohne Profilneurose, kein klassischer Politiker und gerade darum ein guter Politiker, dem die Wähler vertrauen und dem sie zutrauen, dass er mit ihnen gemeinsam die besten Lösungen findet und durchsetzt.

Im Wahlkampf hat René Wilke den Einwohnern der arg gebeutelten Stadt Mut gemacht, hat auch kritisiert, ist dabei aber sachlich geblieben. Scharf vorgetragenen Angriffe auf die politische Konkurrenz bestärken die Bürger nur in ihrer Politikverdrossenheit, hat Wilke erkannt. gerade in Ostdeutschland kommt Polittheater schlecht an. »Hoffnung ist die Antwort. Nicht Wut und Hass.«

Es ist kein Zufall, dass René Wilke den verstorbenen PDS-Bundesvorsitzenden Lothar Bisky als sein Vorbild benennt. Bisky war auch so ein seriöser Typ, der die Dinge differenziert betrachtete. Als Parlaments- oder Parteitagsredner wirkte Bisky zwar einschläfernd. Aber als Mensch war er großartig. Das spürten die Leute und dafür liebten sie ihn.

»Ich komme aus der Schule von Lothar Bisky, für den ich mehrere Jahre gearbeitet habe«, erzählte Wilke in einem Interview der »Märkischen Allgemeinen«. Bei ihm habe er gelernt, wie man sich kritisch auseinandersetzen könne, ohne den anderen abzuurteilen.

Mit »Respekt und Demut« will René Wilke an seine neue Tätigkeit herangehen. »Die Erwartungen sind groß«, sagt er dem »nd«. Er gibt zu, ein bisschen »Schiss« zu haben. Denn er möchte seine Wähler nicht enttäuschen. »Aber das dominante Gefühl sind der Tatendrang und die Vorfreude auf die Aufgabe«, versichert er.

Das größte Problem der Stadt sind ihre Geldsorgen. Mit 120 Millionen Euro steht Frankfurt (Oder) in der Kreide. Das Image eines Sparkommissars mag sich der neue Oberbürgermeister nicht zulegen. »Aber ganz ohne Einsparungen geht es nicht«, weiß er. Um die 50 Millionen Euro vom Land Brandenburg verspricht Finanzminister Christian Görke (LINKE) für die Teilentschuldung der Kommune über einen längeren Zeitraum hinweg zu spendieren. Doch die Stadt muss ihren Beitrag von knapp zwölf Millionen Euro leisten. Das wären pro Jahr rund 1,2 Millionen Euro, rechnet Wilke vor. Wie schwer das wird, sehe man daran, dass Frankfurt (Oder) im laufenden Jahr nach einer halben Ewigkeit des Schuldenmachens erstmals mit einem Plus von bescheidenen 46 000 Euro plane. Dabei muss dringend etwas gegen die grassierende Kinderarmut getan werden. Nirgendwo in Brandenburg ist die Kinderarmut so verbreitet wie in Frankfurt (Oder). Nicht von ungefähr hat sich Wilke gewünscht, dass Sozialministerin Diana Golze (LINKE) am Sonntag in der Marienkirche ein Grußwort spricht. Die Bekämpfung der Kinderarmut gehört zu den wichtigsten Anliegen der Ministerin.

Es gibt viel zu tun, und es geht gerade erst los. Darum verschwendet Wilke im Moment von selbst keinen Gedanken daran, was er nach den acht Jahren mache, für die er jetzt als Oberbürgermeister gewählt wurde. Danach befragt, antwortet er aber: »Wenn es Spaß macht und die Wähler es wollen, vielleicht noch acht Jahre dranhängen.«

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