»Der Rhein« muss aus dem Rhein

Stelzenpontons mit Baggern, Ramme, Saugpumpen - wie die Bergung der 1852 im Fluss versunkenen Dampflokomotive ablaufen könnte

  • Christian Schultz, Mainz
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind viele Zutaten für eine packende Story: Es geht um Leidenschaft, Hartnäckigkeit, um Rückschläge und Erfolge und um einen Schatz - im Rhein. Es handelt sich zwar nicht um den Nibelungenschatz, der laut Sage im Fluss versenkt wurde, aber um ein Stück Industriekultur. Die Rede ist von der laut Experten ältesten existierenden deutschen Dampflokomotive. Sie versank 1852 im Rhein, jahrzehntelang wurde nach ihr gesucht. Nun läuft die Suche auf ihr großes Finale zu: Die tonnenschwere Lok, die »Der Rhein« heißt, soll am 21. Oktober nach mehr als 160 Jahren endlich aus den Tiefen des Flusses geborgen werden.

Dieser Tage wurde dieses ganz besondere Projekt rheinabwärts von der mutmaßlichen Fundstelle bei Germersheim in Mainz vorgestellt, passenderweise auf dem Rhein, im Rumpf des Eventschiffs »Cassian Carl«. An Bord war ein Modell der Lok zu sehen, mit Spots ins rechte Licht gerückt. Das Original wurde einst bei den Kessler-Werken in Karlsruhe gebaut, bestimmt war die Lok für die Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahngesellschaft. Ein Lastensegler transportierte sie auf dem Rhein, bis sie in einem Unwetter von Bord stürzte und verschwand.

Kein lebender Mensch habe diese Lok jemals gesehen, betont der Leiter des Projektbüros »Jäger der versunkenen Lok«, Tobias Bartenbach. Zahlreiche Suchaktionen mit Tauchern und technischen Geräten sowie Tausende Messungen später soll sich das ändern.

Das Projektteam ist überzeugt, die Lokomotive geortet zu haben, wie der Geophysiker Professor Bernhard Forkmann erläutert. Er ist wissenschaftlicher Begleiter der Suche. Wichtigstes Indiz ist ihm zufolge eine geomagnetische Anomalie, die im Untergrund des Flusses entdeckt worden sei. Ein magnetischer Fußabdruck, wie Forkmann es nennt. Der Durchmesser von rund zehn Metern passe in etwa zur Länge der Lok von etwa sechs Metern.

Den Experten zufolge liegt das begehrte Stück auf Höhe der Rheinbuhne 527, einem Querbauwerk aus aufgeschütteten Steinen im Fluss nahe Germersheim. Metertief soll die Lokomotive im Kies versunken sein, etwa 50 Meter vom Ufer entfernt. Dort wird im Oktober die mit der Bergung beauftragte Firma OHF Hafen- und Flussbau mit allerlei Gerät anrücken - Stelzenpontons mit Baggern etwa, dazu eine Ramme, die eine Spundwand in den Fluss treiben wird. Neben Booten werden auch etliche Saugpumpen eingesetzt werden.

Passieren wird das bei laufendem Schiffsverkehr, wie OHF-Geschäftsführer Wolfhard Neu sagt. Normalerweise baue das Unternehmen Neues. »Da hat es mal gereizt, etwas Altes aus dem Rhein zu holen.« Eine U-förmige Spundwand soll die Lok schützen, dann wird Bodenmaterial mit den Saugpumpen beseitigt, im letzten Schritt legen Taucher Gurte um das stählerne Objekt, bevor es nach oben befördert wird. »Keiner von uns weiß, wie die Lokomotive wirklich aussieht«, sagt Neu. Er vermute aber, dass sich die Schäden in Grenzen halten.

Wenn alles gut läuft, dürfte am 21. Oktober für Horst Müller ein Traum in Erfüllung gehen. Der pensionierte Lokführer aus Cochem an der Mosel ist der eigentliche Initiator des Ganzen. Als das Bergungskonzept in Mainz vorgestellt wurde, trug Müller eine historische Eisenbahneruniform und erzählte, wie er schon in den 1960er Jahren in Eisenbahnbüchern von dem Unglück im Rhein gelesen habe. In den 1980ern stieß er erneut auf Berichte und war endgültig gepackt. Müller wühlte sich durch alte Rheinkarten und Berichte, erstellte Karten mit möglichen Standorten der Lok und gewann unter anderem das Museum Bahnwelt in Darmstadt-Kranichstein als Unterstützer.

Bahnwelt-Vorstand Uwe Breitmeier, von Beruf Rechtsanwalt und Notar, ist wie Müller passionierter Eisenbahn-Fan. Ende der 1980er schrieb ihn Müller im Zuge seiner Recherchen an und fragte nach Unterlagen. Was folgte, war eine jahrzehntelange ehrenamtliche Zusammenarbeit. »Wir hatten viele Rückschläge zu verkraften«, erinnert sich Geophysiker Forkmann. Zunächst habe man die Lokomotive im Uferbereich vermutet, erst später sei man auf das Wasser gegangen.

500 000 Euro veranschlagt das Projektteam unter anderem für die Bergung, den Transport und die Restaurierung der Lok, die Bartenbach zufolge dem Land Rheinland-Pfalz gehört. Es wurden schon Sponsoren gefunden, aber noch nicht genug, wie der Projektleiter sagt. Das soll sich mit einer Crowdfunding-Aktion ändern. Zudem begleitet der Südwestrundfunk (SWR) als Medienpartner das Vorhaben in Radio, Fernsehen und Internet - samt Live-Übertragung der Bergung.

Die werfe ein Schlaglicht auf die Industriegeschichte des Südwestens Deutschlands, betont SWR-Intendant Peter Boudgoust. Die Geschichte der Lokomotive ziehe sich durch das gesamte Sendegebiet. Der Konstrukteur sei aus Baden-Baden, der Hersteller aus Karlsruhe, der Lastensegler, der die Lok im Jahr 1852 auf dem Rhein transportierte, habe einer Koblenzer Reederei gehört, der Fundort liege bei Germersheim und der Schatzsucher sei ein Lokführer von der Mosel. Das Projekt zeige zudem, was mit viel Engagement alles möglich sei. »Es ist eine Geschichte, die viele berührt«, erklärte der SWR-Intendant. dpa/nd

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.