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Geisterbeschwörung im Schloss
Das Bundeskabinett kam zu einer zweitägigen Klausur in Meseberg zusammen
Die Autoren des Buches »Verhaltenstherapie in der Medizin« empfehlen Problempatienten »die Lösung aus der gewohnten Umgebung«. So könne man »in Ruhe aus der Distanz Lebensbilanz und Planung vollziehen«. Insofern ist Schloss Meseberg für das Kabinett, was der Urlaub auf dem rumänischen Bauernhof für schwer erziehbare Jugendliche. In der Abgeschiedenheit der märkischen Provinz sollten sich die Kabinettsmitglieder näher kommen. Angesichts der Differenzen innerhalb des Kabinetts kam der zweitägige Trip ins Barockschloss für die 15-köpfige Zwangsgemeinschaft gerade recht. Da auch die meteorologischen Rahmenbedingungen stimmten, zeigten die Fotos eines Paparazzo, den die »Bild« nach Meseberg schickte, lächelnde Minister, die im Schlossgarten in scheinbar vertrauter Runde die warme Frühlingssonne genossen.
Und so trat dann am Mittwoch eine entspannt wirkende Kanzlerin vor die Mikrofone der angereisten Pressevertreter, um eine Bilanz zu ziehen. Ziel des Treffens sei es gewesenen, »Arbeitsfähigkeit herzustellen« und »praktische Fragen« zu diskutieren, so Merkel. Man habe verabredet, den laufenden Bundeshaushalt Anfang Mai zu verabschieden. Zudem habe sich die Runde darauf verständigt, »die Binnengrenzkontrollen noch einmal fortsetzen - aus Sicherheitsgründen«. Seit der Flüchtlingskrise 2015 werden die Grenzen wieder stärker überwacht. Erst kürzlich hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Ausweitung der Grenzkontrollen gefordert.
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Auf einer offiziellen Kabinettssitzung am Mittwochmorgen habe man »die Verlängerung zweier Bundeswehreinsätze« in Mali und am Horn von Afrika beschlossen, unterstrich die Kanzlerin. Außerdem seien diverse Beauftragte der Bundesregierung benannt worden. Demnach soll der Diplomat Felix Stein den neu geschaffenen Posten des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung übernehmen. Diplomatisches Geschick braucht auch der neue Russland-Beauftragte Dirk Wiese (SPD). Der ehemalige parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium soll sich um die angespannten Beziehungen zu Moskau kümmern.
An Merkels Seite stand ein ebenfalls gut gelaunter Olaf Scholz (SPD). Der Vizekanzler und Bundesfinanzminister machte deutlich, dass er das Werk seines Vorgängers Wolfgang Schäuble (CDU) fortzusetzen gedenkt und betonte, dass die »Schwarze Null«, also ein Haushalt ohne neue Schulden, auch für ihn höchste Priorität haben werde. Zudem formulierte er den bemerkenswerten Satz: Europa sei »das wichtigste nationale Anliegen Deutschlands«.
Tatsächlich spielte auch die internationale Politik eine Rolle. So hatte man am Dienstag NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach Meseberg geladen. Über das dort Besprochene hat man offenbar Stillschweigen vereinbart. Merkel jedenfalls sprach von »Darlegungen« ihrer Gesprächspartner und ging auf den Inhalt nicht weiter ein.
Doch die Themen lagen auf der Hand: Die US-Strafzölle gegen die EU sind nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Zudem bremst Berlin derzeit den Reformeifer der Franzosen, die einen Euro-Finanzminister mit einem eigenen Budget fordern. Auch für das Gespräch mit Stoltenberg hätte es mehr als genug Gesprächsstoff gegeben. Die jüngste Eskalation im Verhältnis zu Moskau etwa oder die drohende Konfrontation zwischen NATO-Staaten und Russland in Syrien.
Merkel erklärte am Mittwoch, eines der Ziele der Klausur sei es gewesen, »sich von außen her mal sagen zu lassen, was die Erwartungen an uns sind«. Dazu hatte man dann am Dienstag auch die Spitzenvertreter der »Sozialpartner« ins Schloss geholt. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer diskutierten mit der bunten Truppe über »Wege zur Vollbeschäftigung«. Merkel bekräftigte am Mittwoch ihr Ziel, bis 2025 Vollbeschäftigung in Deutschland zu erreichen. Dass der Kapitalismus und die Krise ein Paar sind, das sich immer wieder findet und dann schlimmste Verheerungen am Arbeitsmarkt anrichtet, ist bis zur Kanzlerin offenbar noch nicht vorgedrungen.
Stattdessen gab es noch ein wenig Geisterbeschwörung. Schließlich soll eben jener über dem Schloss liegen. »Der Geist war gut«, resümierte Merkel mit Blick auf die Gespräche und wollte gar einen Willen zur Einigung erkannt haben. Ob sie das von führenden SPD-Genossen geforderte Machtwort gesprochen hat, um Unionsquertreiber wie Horst Seehofer zur Räson zu bringen, darf bezweifelt werden. Das ist Merkels Art nicht. Stattdessen konstatierte sie, jeder Minister habe nun »genug Arbeit«. Deshalb bleibe keine Zeit für anderes. Eine kleine Spitze gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der in jüngster Zeit mit Einlassungen zu Hartz IV und innerer Sicherheit für Schlagzeilen sorgte.
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