»Was du heute nicht knipst ...«
Seit 32 Jahren begleitet Wolfgang Vacano den Wandel von Hamburg-Altona
Die Schatzkammer Altonas ist ein Keller an der Max-Brauer-Allee. Auf gut hundert Quadratmetern lagern dort Abertausende Postkarten, Schilder und Stadtpläne, Werbebroschüren, Gedenkbücher und viele Terabyte mit Fotos und gescanntem Material aus der Geschichte der bis 1937 selbstständigen Stadt, die heute zu Hamburg gehört.
In Vitrinen sind alte Bierdeckel der Holsten-Brauerei ebenso zu bestaunen wie alte Programmhefte des Flora-Theaters (»Mordprozess« von Bayard Veiller) oder das gut erhaltene Exemplar des ledergebundenen Gründungsprotokolls des »Sanitäts-Hülfs-Corps Altona« aus dem Jahr 1871. Ein Unikat, das man im Hamburger Staatsarchiv vergeblich suchen würde.
Seit 32 Jahren trägt der in Garmisch-Partenkirchen geborene und in Berlin aufgewachsene Wolfgang Vacano nicht nur Fundstücke aus der Geschichte Altonas zusammen, sondern begleitet auch den Wandel des heutigen Stadtteils mit seinem Fotoapparat. Keine Baustelle, die der 77-Jährige nicht alle paar Tage aufsucht und ablichtet. »Was du heute nicht knipst, ist morgen nicht mehr da«, sagt der pensionierte Polizist, der altem italienischen Adel entstammt, was er lakonisch mit »irgendwann ist das ›von‹ weggefallen« kommentiert.
Vacano ist ein Besessener, wenn es um sein Altona geht, das er 1960 zum ersten Mal gesehen hat, als ihn die Liebe zu seiner vor drei Jahren verstorbenen Frau Gisela (»eine echte Hamborger Deern«) in den Norden verschlug. Künstler, Bildhauer wollte er werden, nachdem er Kirchenglaser gelernt hatte.
Doch es kam dann doch anders. »Ohne Geld geht nix«, sagte seine Frau. Vacano beugte sich ihrem Diktum und wurde nach seiner Zeit bei der Bundeswehr mit 23 Jahren Polizist - und daneben Hobbymaler mit eigenem Atelier. Bei ihm sei letztlich die »preußisch dominierte Erziehung« durchgeschlagen, kommentiert der Mann, in dessen Ahnenreihe sich zahlreiche Staatsdiener befinden.
Offenbar gehört auch bürgerschaftliches Engagement zu den Tugenden, die seinem Charakter den Stempel aufgedrückt haben. Er wurde ehrenamtlicher Bühnenmaler bei der Volksspielbühne Rissen, stieg im Altonaer Bürgerverein zum Vorsitzenden auf und avancierte schließlich zum Chronisten seiner neuen Heimat. Und das mit einem enormen »Output«: Vacano hat 31 Bücher veröffentlicht, 500 000 Bilder und 400 verschiedene Darstellungen des Altonaer Wappens zusammengetragen, 11 000 Ordner angelegt. 40 000 Stunden Arbeit und wohl ebenso viele Euro hat er in sein Archiv gesteckt, das heute als Stiftung eingetragen und an das Altonaer Museum gebunden ist.
Im Dezember 2017 wurde Vacano, dessen »Kopf nie still steht« und der auf seiner Website 16 ehrenamtliche Tätigkeiten aufzählt, mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
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