Der Schrecken der Heuschrecken

Christoph Ruf über eine entschlossene Fußballfanbewegung, die sich Spekulanten entgegenstellt

Fußballfans neigen dazu, ihren Einfluss auf den Liga-Alltag zu überschätzen. Doch die Entscheidung der 36 Profivereine vom vergangenen Donnerstag, dass die 50+1-Regel weiterhin Bestand haben soll, hat auch damit zu tun, dass die Fanszenen sich so einheitlich und deutlich für den Erhalt der Regel ausgesprochen hatten. Das rechtliche Konstrukt soll verhindern, dass Investoren entscheiden, wo es in einem Klub langgeht.

Dem Antrag des FC St. Pauli, dass künftig nicht mehr über die Regel diskutiert wird, sondern darüber, wie sie juristisch wasserdicht die nächsten Jahrzehnte übersteht, waren 18 von 34 abstimmenden Klubs gefolgt. Es gab neun Enthaltungen, vier Gegenstimmen und tausende zufriedener Kommentare in den Fanforen von Kiel bis Dresden. Wenn der offizielle deutsche Fußball sich in den wesentlichen Zukunftsfrage halb so einig wäre wie die Fanszene, wäre es nie zu solch heftigen Debatten gekommen wie sie sich hinter den Türen des Frankfurter Sheraton-Hotels abgespielt haben.

Noch am Donnerstagmorgen hatte die Initiative »50+1 bleibt!« im Sitzungshotel einen dicken Stapel Papier an DFL-Präsident Reinhard Rauball übergeben. 3100 Fanklubs von 156 Vereinen hatten sich der Petition angeschlossen. Nebst allen relevanten Fanzusammenschlüssen. »In diesen Tagen wird viel an die außerparlamentarische Opposition von 1968 erinnert«, schrieb der kluge Kollege Ralf Lorenzen auf zdf.de. »Fünfzig Jahre später entzündet sich eine der breitesten gesellschaftspolitischen Bewegungen des Landes an der Frage der Besitzverhältnisse im Fußball.« Das ist dann vielleicht doch ein wenig hochgegriffen, dachte da sicher mancher Leser im ersten Moment. Um dann im zweiten zu merken, dass der weise Mann aus Bremen Recht hat. Denn tatsächlich hat diese Bewegung eine Agenda, die über die 50+1-Regel weit hinausgeht. Es geht ihr um die Frage, wer im Fußball das Sagen haben soll. Die Wirtschaft, die sich ja mal in Gestalt rührender älterer Herren wie Hoffenheims Dietmar Hopp manifestiert, mal aber auch in Gestalt von wirtschaftlichen Groundhoppern, die ihre Coins mal hierhin, mal dorthin werfen, denen es aber völlig egal ist, was aus ihrem Spekulationsobjekt wird, wenn die Rendite erst mal herausgezogen ist. Bei der Debatte um 50+1 - und nur so ist die Geschlossenheit der Fanszenen zu erklären - geht es also letztlich um den Grad der Kommerzialisierung beim Fußball. Dass Geld die entscheidende Rolle spielt und der Gewinnmaximierung so gut wie jeder Teilbereich untergeordnet wird, wissen die Fans ja grundsätzlich schon. Doch sie sind nicht bereit zu akzeptieren, dass nun im Zeitraffer die letzte Bastion demokratischer Partizipation geschleift werden soll. Bei den meisten Vereinen können unfähige Aufsichtsräte, Vereinsräte oder Präsidenten über kurz oder lang abgewählt werden. Macht wird auf Zeit verliehen und unterliegt der Kontrolle. Oft tatsächlich, manchmal auch nur theoretisch, denn im Fußball treiben sich unter den Kontrolleuren viele Menschen herum, die zu einfältig sind, um wirklich zu kontrollieren. Und noch mehr, denen nicht der Intellekt fehlt, wohl aber die Haltung. Sie wollen nicht kontrollieren, sondern dabei sein. Aber solche Menschen gibt es auch in Parlamenten und den Aufsichtsräten von DAX-Konzernen zuhauf, ohne dass jemand auf die Idee käme, einen Sitz im Aufsichtsrat von VW meistbietend im Casino zu versteigern.

Die Analogie zwischen den Fanszenen und den 68ern greift allerdings in einem anderen Punkt nicht. Denn während die Altvorderen den »Marsch durch die Institutionen« als Fernziel ausgaben und sich überaus kritisch dabei beäugten, wie schnell sie sich von der Macht korrumpieren lassen würden, war die Fanszene seit 2017 deutlich pragmatischer und zielstrebiger.

Im Vorfeld der Frankfurter Abstimmung hatte es in vielen Klubs einen Schulterschluss zwischen Fans, Mitgliedern und Vereinsführungen gegeben. So weit auseinander viele Vereine in Sachen Pyrotechnik mit ihrer Fanszene sind - die Überzeugung, dass es nicht ungeduldige Wirtschaftstypen sein dürfen, die über Trainerentlassungen entscheiden, einte vielerorts Vereinsführungen, Mitgliedschaft und Kurven. Die Einigkeit in einer Frage von vielen, die Fans wichtig sind, reichte also schon, um zum Teil über Monate in einem fruchtbaren Kontakt zu bleiben. Unfassbar wie pragmatisch die Jugend von heute ist. Noch unfassbarer, dass sie anders nicht so weit gekommen wäre.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.