Wenn der Tod ins Leben bricht

Calixto Bieito inszeniert in Hamburg Giuseppe Verdis »Messe da Requiem«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon wegen des dramatischen Furors kann man Verdis »Messa da Requiem« mehr dem Musiktheater als der sakralen Erbauung zuordnen. Die Musik drängt in eine szenische Form und verschließt sich ihr zugleich doch wieder, weil sie selbst so stark in ihrer Wirkung ist, dass sie ein »Vertanzen« oder »Bebildern« im Grunde nicht braucht. Zudem gibt es, anders als bei Händels »Messias« oder Bachs Passionen, keine Handlungselemente, denen man dabei folgen könnte. Also lauert die Gefahr einer Verkitschung durch religiöse Symbolik oder die bloße Transformation von Stimmen in Bewegung hinter jedem Amen, wird jeder Versuch einer szenischen Umsetzung auch zum Drahtseilakt des guten Geschmacks. Achim Freyer hatte in Berlin die vier Stimmen als Figuren seinem philosophisch ästhetischen Universum einverleibt.

Calixto Bieito macht jetzt in Hamburg Menschen von heute aus ihnen und dem ganzen Chor. Das klingt auf den ersten Blick reizvoll, birgt aber auch das Risiko einer Kollision der säkularen Lebenswirklichkeit mit dem musikalischen Widerhall aus dem Jenseits. Die Arbeiten Bieitos zeichneten sich oft durch einen gewissen antiklerikalen Furor aus. Auch eine Art, Kindheitserlebnisse künstlerisch fruchtbar zu machen. Würde der Katalane noch die radikale Bühnenästhetik zelebrieren, die einmal mit seinem Namen verbunden war, gäbe seine Neuinszenierung eine Antwort darauf, ob dieser Verdi ein Schritt in Richtung einer altersmilden Aussöhnung ist oder ein Versuch, den Stier bei den Hörnern zu packen. Ganz klar ist die Antwort am Ende nicht.

Von Anja Rabes sehr heutig gekleidete Menschen finden sich hinter und vor Susanne Gschwenders bühnenfüllender Regelwand aus drei Mal 32 Fächern. Die sind der Rahmen, sind beweglich und lassen sich umgruppieren, auch abkippen. Was auf den ersten Blick wie eine Produktplatzierung von IKEA anmutet, assoziiert beim zweiten eine Mauer mit Urnengräbern, als gebaute Todesperspektive jeden Lebens. Oder ein Archiv für Akten fürs Jüngste Gericht. Erinnert aber auch an urbane Fassaden.

Bieito konfrontiert Verdis Toten-Gedenken und die liturgische Fürbitte also dezent und assoziativ mit der Lebenswelt moderner Menschen. So bricht die Musik wie eine Infragestellung des Diesseits durch ein vor allem bedrohliches oder vielleicht erlösendes Jenseits in die Alltagswelt der Menschen. Zwischen dem Lachen spielender Kinder, deren frühem abrupten Tod und dem Leiden Sterbender. Bei all den collagierten Assoziationen fordert Bieito diesmal mitdenkendes Hören. Seine Bilder bleiben Angebote zum Insichhineinhören. Wahren aber auch immer eine gewisse Distanz.

Natürlich lässt sich Gastdirigent Kevin John Edusei am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg das zornige Auftrumpfen des »Dies Irae« nicht entgehen. Sorgt aber auch sonst im Schulterschluss mit dem von Eberhard Friedrich bestens präparierten Chor für einen liturgischen Sog der Ratlosigkeit im Angesicht des Todes, der die Menschen ergreift. Sopranistin Maria Bengtsson und Bass Gábor Bretz sind das eine höchst überzeugende Stimmen- und Menschenpaar. Die ausdrucksstarke Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina und der Tenor Dmytro Popov das andere.

Nächste Vorstellungen: 20., 23.,27. und 31. März 2018; staatsoper-hamburg.de

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