Sisyphos
Jürgen Amendt über den Bildungsbegriff im digitalen Zeitalter
Kann Allgemeinbildung nützlich sein? Diese Frage beantworten Ökonomen anders als Philosophen. Philosophen sehen in der Allgemeinbildung ein Instrument zur Entfaltung des autonomen Individuums. Für Ökonomen ist Allgemeinbildung dagegen eine auf anwendbares Wissen orientierte Fähigkeit, eine Kompetenz also, mit deren Hilfe Berufe erlernt und ausgeübt werden können. Was ja nicht falsch ist. Die Kenntnis von klassischer Literatur, das Können, Gedichte zu rezitieren, ist Ökonomen aber nur insofern wichtig, als dass die Tatsache, dass jemand Schillers Gedicht von der »Glocke« (die irgendwo werden muss in einer Form, die festgemauert in der Erden steht) aufsagen kann, etwas über die Fähigkeit des Vortragenden aussagt, Sätze auswendig zu lernen - ganz unabhängig davon, ob er sich mit dem Gedicht selbst inhaltlich beschäftigt hat oder nicht. Das Lernen - gerade das in den Schulen - glich einer Sisyphosarbeit: Kaum war der Reim, waren die Geschichtsdaten im Kopf, schon waren sie wieder verschwunden und die Auswendiglernerei ging von vorne los.
Die Befähigung, sich weitestgehend sinnfrei Wissen anzueignen, war in der analogen Welt der Fabrikmaschinen, die den Menschen am Fließband den Arbeitstakt vorgaben, praktisch. In den Schulen wurde daher genau das gelehrt: Fließbandarbeit. Bücher waren Ansammlungen von Sätzen, die gelernt werden sollten, um sie auf Knopfdruck (in der Prüfung) abrufen zu können. Das war zwar zweckfrei, aber nicht zwecklos, denn in der Zeit vor Google, Wikipedia und der Suchfunktion in Textverarbeitungsprogrammen war das eigene Gedächtnis die sicherste Suchmaschine, die man nutzen konnte.
Mit der Digitalisierung braucht es das menschliche Gedächtnis immer weniger. Die Spaltung in Fließbandarbeiter und Philosophen ist geblieben. Die Fließbandarbeiter erkennt man heute daran, dass sie die digitalen Geräte ausschließlich als Konsumenten nutzen, als Ansammlung von Daten, die auf Knopfdruck abgerufen werden können.
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