Der Kommunikationsverweigerer

Die Kritik an Volksbühnenintendant Chris Dercon hält an

  • Samuela Nickel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Berufung von Chris Dercon an die Berliner Volksbühne löste monatelange heftige Diskussionen aus. Seit vergangenen Herbst sind er und sein Team am Theater tätig, vorher leitete der Belgier das Londoner Museum Tate Modern. Dercon will neben dem Theater auf Tanz, Musik und Kunst setzen. Einige sehen darin jedoch das Ende des traditionellen Ensembletheaters.

Ende Dezember äußerte Chris Dercon im Deutschlandfunk die Absicht, mit der Volksbühne zahlreichen unterschiedlichen Disziplinen eine theatrale Form zu bieten. Er wolle damit eine Art von metadramatischem Theater, eine experimentelle Produktionsform schaffen. Zwar wolle er in der Volksbühne auch wieder ein Ensemble aufbauen, aber möglicherweise nicht in der klassischen, bisherigen Form des Schauspielerensembles: »Weil wir andere Produktionen realisieren, muss man auch die Idee von Ensemble anders verstehen«, sagte der Nachfolger des langjährigen Volksbühnen-Chefs Frank Castorf.

Was das genau bedeutet, bleibt bis heute unklar. Mangelnde Kommunikation war seit Beginn ein Vorwurf an den neuen Intendanten. Christophe Knoch, Sprecher der Koalition der Freien Szene, erneuerte diesen Vorwurf und kritisierte am Dienstag dieser Woche, dass die Veränderungen, die Chris Dercon an der Volksbühne vorhabe, nicht mit den politischen und in den künstlerischen Räumen Berlins besprochen würden. »Ich habe den Eindruck, er hat einfach nicht verstanden, in welcher Stadt er arbeitet«, so Knoch in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Die Zeiten sind nicht gut für den Belgier. Die Uraufführung von »Liberté« des katalanischen Regisseurs Albert Serra mit Helmut Berger sorgte abermals für zahlreiche schlechte Kritiken und ist damit die vierte Premiere unter neuer Intendanz, die auf Missmut unter den Theaterkritikern stößt. Dercon ist für Knoch jemand mit einem Instrument in der Hand, »das er offensichtlich nicht nutzen kann«.

Doch die Befürchtungen gehen noch weiter: Einige sehen in der neuen Ausrichtung der Berliner Volksbühne ein Ende des klassischen Sprechtheaters. Christoph Stölzl, ehemaliger Berliner Kultursenator und heute Präsident der Weimarer Hochschule für Musik, befürchtet, aus einem ensemblebasierten Stadttheater könnte eine Produktionsplattform mit wechselnder Tourneebesetzung entstehen. Die verpatzten Premieren zeigten jedoch, dass die Berliner Volksbühne als ein zu bespielendes Podium ohne ein festes Ensemble offenbar nicht funktioniere, so Stölzl am Mittwoch auf Deutschlandfunk Kultur. Kommunen und Städte sollten genau wissen, welch wichtige Institution mit einem äußerst verletzlichen Erbe sie mit den Ensembletheatern vor sich hätten, warnt Stölzl. Das Zusammenwachsen eines Theaterensembles über Jahrzehnte hinweg zu einer Theaterfamilie eröffne einmalige Möglichkeiten, die Bedeutung sowohl klassischer als auch moderner Theaterstücke zu transportieren.

Er sei eher ein Schleuser verschiedener Kunstformen, verteidigte sich Chris Dercon am Dienstagabend im Literaturforum im Brecht-Haus. Im Gespräch mit Alfred Eichhorn stellte der Intendant der Volksbühne den weiteren Fahrplan des Theaters am Rosa-Luxemburg-Platz vor: Eine Traditionslinie habe er so gesehen nicht, aber ein Leitbild. Er sehe Theater wie eine Reise - um zu sehen, was aus dieser Institution werden könne. Auch im Brecht-Haus wiederholte Dercon sein Mantra von den unterschiedlichen Disziplinen, die verbunden werden und in einer theatralen Form in der Volksbühne ein Zuhause finden müssen.

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