Die Groko versenkt mit der HSH Milliarden

Mindestens zehn Milliarden Euro wird der Verkauf der norddeutschen Landesbank die Steuerzahler kosten

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Damen legen ihre Blousons ab, Herren lockern ihre Krawatten. Fast 5000 Bankkaufleute feiern ausgelassen. Bon Jovi bringt die Halle an diesem 16. Juni 2003 in Hamburg zum Toben. Der Popstar singt seine Hits zur Hochzeit der HSH Nordbank. Knapp fünfzehn Jahre später, folgt der Kater: Die HSH wird an US-Finanzinvestoren verkauft.

2003 rief der HSH-Vorstandsvorsitzende Alexander Stuhlmann den Bankern zu, sie sollten es »so richtig krachen lassen«. Das galt nicht allein für diese Party. Gerade hatten die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein ihre öffentlichen Landesbanken zusammengeführt. Aus den soliden Instituten, die vor allem den Staat und die regionale Wirtschaft finanzieren, wurde ein Global Player. Moskau, New York und Hongkong hießen die neuen Standorte. Ein Börsengang wurde angestrebt. Mit einem neuen Geschäftsmodell wollte Stuhlmann die Eigenkapitalrendite auf über 15 Prozent hochjagen. Der Staat wollte als Eigentümer höhere Dividenden kassieren. Das klappt zunächst: Aus rund 50 Millionen Euro wurden 2007 etwa 214 Millionen.

Der Stratege hinter dem Plan war Finanzsenator Wolfgang Peiner, von Beruf Steuerberater. Nach über vier Jahrzehnten hatte seine CDU unter dem charmanten Ole von Beust in der Hamburger Bürgerschaftswahl 2001 die SPD entmachtet. Ob Krankenhäuser, Altenpflege oder Behördenbauten - Peiner wollte alles für den Markt öffnen.

Aber auch die Parlamente stimmten dem neuen HSH-Kurs zu. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis wurde Aufsichtsratsvorsitzende. Sie gehört wie Bankboss Stuhlmann der SPD an. Alle, auch die Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat, winkten die riskante Geschäftspolitik durch, mit der die Bank höchste Renditen erzielen sollte. Dazu gehörten verschachtelte Immobiliengeschäfte in den USA. Mit denen geriet die Bank bald in den Sog der Finanzkrise, die 2008 mit der Lehman-Pleite ihren Höhepunkt erreichte.

Diese Geschichte von Gier, Größenwahn und Nieten in Nadelstreifen kennt noch einen anderen Handlungsstrang: Auf maßgebliches Betreiben der Deutschen Bank hatte die Europäische Bankenvereinigung (EBF) Beschwerde gegen die deutschen Landesbanken bei der EU-Kommission eingelegt. Die Bundesländer hatten ihre Landesbanken durch Anstaltslast und Gewährträgerhaftung abgesichert: Mit dem unbegrenzt kreditwürdigen Staat im Rücken kamen sie günstiger an Geld - ein klarer Wettbewerbsvorteil.

Diesen kappte die EU-Kommission. Doch die jahrelange Übergangszeit nutzten HSH und andere Landesbanken, um sich mit etwa 300 Milliarden Euro frischem Kapital vollzusaugen. So entstanden gewisse »Anlagezwänge«, sagte später Dirk Jens Nonnenmacher, der erst 2007 zur Bank kam, als es zu spät war. Der Öffentlichkeit wurde der medial unbeholfene, wohl auch fachlich überforderte Mathematiker »Dr. No« als Buhmann präsentiert.

»Anlagezwänge« führten schließlich im klassischen Schifffahrtsgeschäft dazu, dass wirtschaftliche Vernunft unterging. Der ohnehin größte Schiffsfinanzier der Welt verdoppelte bis zur Finanzkrise seine maritimen Finanzierungen auf 40 Milliarden Euro für 3500 Frachter. Als die Finanzkrise Welthandel und Reeder hart trifft, ist dieses »Klumpenrisiko« fast wertlos.

Der Staat rettete die durchgeknallte Staatsbank seit 2009 unter anderem mit einer Kapitalspritze von drei Milliarden Euro und Bürgschaften. Im Gegenzug verlangte die EU-Kommission einen Verkauf der Bank bis zum 1. März 2018. Um die Braut aufzuhübschen, übernahm der Staat weitere Lasten. Derweil wurden Reeder von der Bank großzügig entlastet.

Im Januar 2017 erschien die Verkaufsanzeige. Bis Ende März meldeten sich tatsächlich mehrere Bieter. Nachdem sie in die Bücher geschaut hatten, blieben drei übrig. Anfang 2018 wurde von den Regierungen ein Bieter ausgewählt. Es ist ein Konsortium aus den US-Finanzinvestoren Cerberus und J.C. Flowers. Der umstrittene Investor Christopher Flowers ist bereits seit Jahren an der HSH beteiligt.

Seit Mittwoch ist es nun amtlich. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und der hamburgische Bürgermeister und kommissarische SPD-Vorsitzende Olaf Scholz gaben auf einer Pressekonferenz in Kiel bekannt, dass mit Cerberus, Flowers und drei weiteren Finanzinvestoren ein Kaufvertrag unterzeichnet wurde. Der Kaufpreis beträgt laut Günther etwa eine Milliarde Euro. Bis zum endgültigen Inkrafttreten des Vertrages kann der Kaufpreis allerdings noch deutlich sinken.

Zurück bleibt nach Angaben des Finanzsenators Peter Tschentscher im günstigen Fall ein Schaden zwischen zehn und elf Milliarden Euro, für den die Bürger in Hamburg und Schleswig-Holstein in den kommenden Jahren werden aufkommen müssen. Im schlimmsten Fall müssen die beiden Länder als Verkäufer bis zu 16 Milliarden Euro an die Käufer zahlen.

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