»Wir müssen zum Kern Europas gehören«
Auf dem Parteitag der polnischen Oppositionspartei PO kritisiert Parteichef Schetyna die Außenpolitik der Regierung
Der Landesparteitag am vergangenen Samstag sollte der größten polnischen Oppositionspartei endlich wieder zu neuem Aufschwung verhelfen. Nach den schlechtesten Umfragewerten in der Parteigeschichte wollte der Vorsitzende der liberalen Bürgerplattform (PO), Grzegorz Schetyna, mit »weitsichtigen Initiativen« überzeugen und einen parteiinternen Frieden ausrufen. Als ob das nicht genug wäre, muss er als Oppositionsführer noch den Nationalkonservativen auf die Finger schauen. Und so ließ Schetyna bei seinem Auftritt in einer Warschauer Kongresshalle kein gutes Haar an der aktuellen Regierung.
Im Zentrum seiner Kritik stand die neue Ausrichtung der polnischen Außenpolitik. Bei dem »derzeitigen Kurs« verlöre Polen seine engsten Verbündeten, so Schetyna. Unter dem Motto »Tak dla Europy« (Ja zu Europa) versprach der PO-Chef zudem eine breite gesellschaftliche Debatte über den Beitritt Polens in die Eurozone. »Wir müssen zum Kern Europas gehören«, forderte der 55-jährige.
In den Medien rief sein Auftritt unterschiedliche Reaktionen hervor. »Schetyna hat überzeugend dargelegt, dass es zu Kaczynskis Größenwahn durchaus Alternativen gibt«, glaubt Przemysław Szubartowicz vom staatlichen Rundfunk. Andere dagegen beklagen, der Parteichef habe sich in seiner Rede zu lange mit den Mängeln der PiS befasst. »Ich glaube, es wäre vorteilhafter, wenn Schetyna weniger darüber spricht, was die jetzige Regierung falsch macht, als darüber, was er selbst besser machen würde«, schrieb Michał Protaziuk von der »Gazeta Wyborcza«. Es ist bezeichnend, dass dieser Vorwurf aus der Feder eines Regierungsgegners stammt. Die Kritik an der »Konzeptlosigkeit« der PO wurde in den letzten Monaten auch im eigenen Lager zunehmend lauter. Die Linie der Bürgerplattform sei seit Monaten allenfalls »reaktiv«, heißt es.
In der Tat entsteht unweigerlich der Eindruck einer Partei, die noch zwei Jahre nach der Wahlniederlage ihre Wunden leckt, statt ein richtungsweisendes Programm vorzulegen. Überdies verrennt sich Schetyna permanent in widersprüchliche Aussagen. An einem Tag wolle seine Partei Flüchtlinge aufnehmen, an einem anderen behauptet er, sie sei »strikt dagegen«. Das von der PiS eingeführte Kindergeld »500+« erachtet er heute als sinnvoll und ausbaufähig, obwohl er einst detaillierte Berechnungen vorlegte, wonach es nach nur wenigen Monaten den Haushalt sprenge.
Es drängt sich eine fatale Vermutung auf: Schetyna ist derzeit zu mehr als einer labilen Umfragepolitik nicht imstande. Damit wird er aber seine Partei irgendwann an die Wand fahren. Vor allem jedoch sind es lesbare Symptome mangelnden Respekts gegenüber den PO-Wählern, die auf eine seriöse Alternative zur PiS hoffen. Aufgetreten sind auf dem jüngsten Parteitag u.a. der frühere Chefdiplomat Radosław Sikorski und die EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska. Zwei Namen mit internationalem Glanz, die indes in Polen mit unzähligen Egotrips von Politikern assoziiert werden, die den Niedergang der PO erst eingeleitet haben.
Dabei kann die Bürgerplattform vor den Lokalwahlen auf etwas bauen, was anderen Oppositionsparteien verwehrt bleibt: Sie ist in den Kommunen stark vertreten und hat hier Erfolge vorzuweisen. Doch scheinen auch in dem Zusammenhang letzte Bastionen zu bröckeln, werden individuelle Machtambitionen und parteiinterne Risse offenbar. Der langjährige Bürgermeister von Gdańsk, Paweł Adamowicz, möchte nach fünf Amtszeiten erneut kandidieren, wobei er jegliche Ratschläge von seinen Warschauer Kollegen in den Wind schlägt. Diese haben den Sohn des Gewerkschaftsführers Lech Wałęsa als Nachfolger für Adamowicz ins Gespräch gebracht. Ein Burgfrieden sieht anders aus, eine Neuausrichtung auch.
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