Jeder springt für sich allein
In der Wabe und in der Jugendtheateretage beginnt das diesjährige Festival »Musik und Politik«
Als Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, im November letzten Jahres die Dominanz westdeutscher Eliten in Gesamtdeutschland mit dem Erleben eines kulturellen Kolonialismus seitens der Ostdeutschen verknüpfte, hatte Hans-Eckardt Wenzels Lied »Klassentreffen«, das auf Konzerten dionysisch-stampfende Publikumschöre entfachte, schon stolze 18 Jahre auf dem Buckel. Sarkastisch werden darin deutsch-deutsche Integrationsbemühungen beschrieben, die im zwanghaften Besäufnis enden: »Und so wie Dick und Doof zusammenpassen/ So passen wir zu unseren Brüdern und Schwestern/ Und darum Freunde, hoch die Tassen/ Vergessen wir das Gestern/ Vielleicht wird uns dereinst verziehn/ Denn wir stammen ja aus dem Unrechtsregime.« Prost!
Wahrlich, lange muss man nach dem Thema »kultureller Kolonialismus« beim diesjährigen Festival »Musik und Politik«, veranstaltet vom Verein »Lied und soziale Bewegung«, nicht suchen: Michael Kleff ist kurz nach dem Mauerfall auf Reisen gegangen, über zwei Jahre lang hat er mit Liedermachern und Kabarettisten aus dem Osten gesprochen, zusammen mit dem 62-jährigen Wenzel will Kleff diese Dokumente als Buch herausgeben, einige Interviewauszüge werden an diesem Freitag um 18 Uhr in der »Wabe« vorgestellt.
Die Erinnerungen verblassen. Mit der Vorliebe für einen historischen Blick, der die Gegenwart erkennbarer macht, erläutert Wenzel: »Es war der Augenblick einer großen Verunsicherung. Dieses Material zeigt, mit welchen Utopien und Illusionen die Künstler auf die Veränderungen reagiert haben« - derweil »der Westen sich schnell darauf einigen konnte, dass er den Osten nur als Absatzmarkt und Spekulationsobjekt brauchte. An der wirklichen Eigenart, die ja zuvörderst eine kulturelle war, hat es kaum Interesse gegeben. Das ist heute auch noch so«, so Wenzel. Sowohl die Ausstellung »Alles wird besser, nichts wird gut - Musik und Politik um 1990«, die an diesem Freitag um 17 Uhr in der »Wabe« eröffnet, als auch das anschließende »Liederkino« in der »Jugendtheateretage« versprechen einen Blick auf den »Crash-Kurs der Vereinigung«.
Unverdautes, Aktuelles. Und ein Blickwechsel: Heinz Ratz, Jahrgang 1968, geboren in Bad Godesberg und Sänger der Band Strom & Wasser, spielt am Samstag ab 20 Uhr in der »Wabe«. Seine Erinnerungen sind ähnliche: »Es war eine kulturelle Vergewaltigung. Da mir die Werte des Westens schon immer suspekt waren, fand ich es auch furchtbar, dass viele Ostdeutsche scheinbar möglichst schnell ihre kulturellen Praktiken loswerden wollten. Die Enttäuschungen waren vorprogrammiert.« Geschichten, die sich wiederholen, Ratz sieht heute eine vergleichbare Problematik bei einigen Geflüchteten. Und welche Haltung hatten die Unternehmer damals im Westen? Ratz, der an einem Buch über seine Band arbeitet, weil so viele »Halbwahrheiten im Internet« stehen, antwortet schnörkellos: »Da gehen wir rüber und räumen das auf! Das ist Beute-Brachland, da gehen wir rein!«
Noch ein Blickwechsel: AnniKa von Trier, Jahrgang 1970 und geboren in Trier, spielt am Sonntag ab 19 Uhr in der »Wabe«. Sie sammelte Anfang der 90er Jahre an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz deutsch-deutsche Integrationserfahrungen: »Ich fand Verhaltensweisen vor, die für mich anders und positiv konnotiert waren: Das Verbindliche, der Austausch untereinander, die Selbstverständlichkeit gegenseitiger Hilfe, so nach dem Motto: ›Ich singe auf deiner Vernissage, malst du mein Plakat?‹ Ein Tausch außerhalb der Währung Geld.« Man höre Triers fein-ironischen Song »Plädoyer für einen Mindestumtausch« (2014), darin heißt es: »Wunschkindpille, Weltniveau/ Wundert’s euch? Das ist jetzt so/ West is the Best, West is the Best/ Die Straße der Besten führte nach Westen/ Doch wer wird für unsere Zukunft sorgen/ Ohne die Messe der Meister von morgen?«
Und wie sieht so ein Kolonialismus im kleinen Maßstab aus? Wenzel erzählt vom letzten Jahr, von einem Konzert zum Kirchentag in seiner Heimatstadt Wittenberg: »Im Programmheft war das als ›Konzert mit einem ostdeutschen Liedermacher‹ angekündigt. Sie kannten nicht mal meinen Namen, haben sich nicht die Mühe gemacht, nachzusehen, wer ich bin. Sie kannten mich nicht aus dem Fernsehen, dann ist alles klar. Natürlich ist das eine Art ›kulturelle Hegemonie‹. Ich habe das Gefühl, dass sie nicht abgenommen hat mit den Jahren.«
Ratz muss sich nur in seinem kleinen Wohnörtchen im Norden Deutschlands umschauen: »Jeder Garten hat ein Trampolin, drum herum gibt es hohe Zäune, jeder springt für sich allein. Als ich neulich in Leipzig war, waren die jahrelang offenen Hinterhöfe auch eingezäunt - samt ihrer Trampoline.« Und AnniKa von Trier? »Ich frage mich, woran es liegt, dass diese künstlerischen Treffen in Privatwohnungen, die ich nur aus Erzählungen kenne und die in den 80er Jahren Ostberlin bestimmten, verschwunden sind.«
Eines bleibt aber, wie es war: Beim Festival »Musik und Politik« treffen sich die politischen Liedermacher-Generationen auf Augenhöhe, keiner musiziert für sich allein. So sind auch Steffen Mensching, Wolfgang Rieck, das Duo Dylan42, Tobias Thiele, Rüdiger Bierhorst, Ryan Harvey, Calum Baird, Dew Decker, die Band elternhaus.ost, Dennis B. Markheim, Johanna Zeul und die Band Lari und die Pausenmusik dabei. Schön.
Festival »Musik und Politik«, vom 23. bis zum 25. Februar in der »Wabe«, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg.
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