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Mittel für Flüchtlingshilfe kommen bei vielen Initiativen nicht an
Viele Helfer rufen bereitstehende Fördermittel nicht ab / Forscher fordern geringere Vorgaben für Anträge
Gütersloh. Mehr als jede dritte Flüchtlingsinitiative in Deutschland nimmt einer Studie zufolge keine Fördermittel in Anspruch – auch wenn diese Gruppen oft zusätzliches Geld brauchen. Grund ist vor allem, dass viele Initiativen die Anforderungen der Fördermittelgeber nicht erfüllen können, wie die am Dienstag in Gütersloh veröffentliche Untersuchung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ergab.
Fehlende Förderprogramme oder zu wenig Geld sind laut der Studie hingegen nicht die Ursache dafür, dass die Unterstützung vor allem bei zahlreichen kleineren Flüchtlingsinitiativen nicht ankommt. Vielmehr geben 58 Prozent der Gruppen an, dass sie aus ihrer Sicht Bedingungen für die Antragstellung nicht erfüllen, 46 Prozent sehen folglich auch keine Aussicht auf einen Erfolg möglicher Anträge.
Die Autoren der Studie verweisen in diesem Zusammenhang auf behördliche Vorgaben für die Projektförderung. So dürften Projekte zum Förderzeitpunkt noch nicht begonnen haben, wiederkehrende Ausgaben würden nur selten gefördert, oder aber der Staat fordere von den Initiativen eine Vereinsform, die den Helfern oft nicht als sinnvoll erscheine.
So gaben knapp 38 Prozent der Initiativen an, sie wollten unabhängig bleiben. Ein Motiv dafür ist der Studie zufolge vielfach die Furcht der engagierten Helfer, als Lückenfüller für eigentlich staatliche Aufgaben instrumentalisiert zu werden. Als weitere Herausforderungen bei der Antragstellung nannten viele Befragte einen zu hohen zeitlichen Aufwand sowie fehlenden Zugang zu Informationen.
Einer der Autoren der Studie, Serhat Karakayali vom BIM, nannte es bemerkenswert, dass die öffentlichen Mittel vor allem bei den schon etablierten Trägern ankämen – also bestehenden Vereinen und Verbänden. »Diese oft größeren Organisationen haben Erfahrung im Beantragen und Einwerben von solchen Geldern - die vielen kleinen Willkommensinitiativen dagegen finanzieren sich hauptsächlich durch private Spenden« erläuterte Karakayali.
»Es ist bedauerlich, wenn gerade die spontan entstandenen, informell organisierten Initiativen nicht von der Förderung durch die öffentliche Hand profitieren«, betonte der Forscher. »Denn vor allem diese Initiativen waren es, die im Angesicht der Überforderung staatlicher Strukturen wesentliche Aufgaben der Versorgung, Betreuung und schließlich Integration der Flüchtlinge geleistet haben.«
Geringere Vorgaben für die Vergabe von Fördermitteln
Damit Fördermittel besser ankommen, schlagen die Autoren der Studie unter anderem geringere Vorgaben für die Vergabe von Fördermitteln vor. Zudem müssten die Verfahren insgesamt vereinfacht und Fördermittel auch für bereits laufende Aktivitäten bereitgestellt werden.
»Für die Integration der Geflüchteten sind die Initiativen der freiwillig Engagierten unentbehrlich«, unterstrich der Experte für Zivilgesellschaft bei der Bertelsmann-Stiftung, Alexander Koop. »Für ihre Arbeit brauchen sie aber auch finanzielle Unterstützung vom Staat – fördernde Einrichtungen sollten daher ihre Programme ausbauen und anpassen, um diese wichtige Arbeit weiter zu unterstützen.«
»Wer besonders schnell geholfen hat, wird durch das aktuelle Fördermittel-System aber eher bestraft, weil Initiativen erst Anträge hätten schreiben und Vereine gründen müssen, bevor sie anfangen, um Mittel zu erhalten«, so Koop.
Die Initiativen geben die Gelder für Sachmittel, Beratung, praktische Hilfen, Unterricht, gemeinschaftliche Aktiviväten oder auch Fahrtkosten aus.
Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates Nordrhein-Westfalen, bestätigt das Ergebnis der Studie und spricht von bürokratischen Bollwerken. Bei der Suche nach Lösungen aber fordert sie einen differenzierten Blick. Dass Hürden durchaus sinnvoll sind, um Mittel-Missbrauch zu verhindern, sieht auch Naujoks.
Gleichzeitig nennt sie beispielsweise die Vereinsgründung als Voraussetzung für die Auszahlung von Fördermitteln einen Hemmschuh. »Wir müssen nach guten Mittellösungen suchen. Wenn nicht der Vorstand eines Vereins für den korrekten Einsatz des Geldes haften kann, dann aber vielleicht als Ersatzlösung eine Einzelperson«, sagte die Geschäftsführerin. »Unstrittig ist, dass wir jemanden brauchen, der bürgt und seinen Kopf hinhält für den korrekten Einsatz von staatlichen Mitteln.« Agenturen/nd
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