AfD bestimmt, bis der Arzt kommt

In Lebus soll es den vierten Anlauf zur Wahl eines Stadtoberhaupts geben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Stadtverordneten von Lebus (Märkisch-Oderland) sollen voraussichtlich im März über einen neuen ehrenamtlichen Bürgermeister abstimmen. Das genaue Datum haben sie noch nicht. Zwar steht im Sitzungskalender der 6. März, 18.30 Uhr, vermerkt. Doch die Sitzungstermine im Kulturhaus an der Kietzer Chaussee werden für ein halbes Jahr im voraus vermerkt. Darauf verlassen sich die Stadtverordneten nicht. Sie warten auf die förmliche Einladung mit dem korrekten Datum, und die ist noch nicht eingetroffen.

Wie Wahlleiterin Iris Frackowiak dem »nd« am Mittwoch bestätigte, haben sich inzwischen zwei parteilose Kandidaten gemeldet: schon Ende Januar der 32-jährige Rettungsassistent Martin Thiel und vor einigen Tagen dann auch noch der 49-jährige Arzt Reiko Mortag. Jederzeit möglich, auch noch während der Sitzung, ist eine Bewerbung des Stadtverordneten Detlev Frye (AfD). Frye hat sich diese Variante bislang offen gehalten. Er hat zwischenzeitlich auch dementiert, dass er einen Rückzieher gemacht habe. Vakant ist der Posten, seit im September vergangenen Jahres die Bürgermeisterin und ihrer Stellvertreterin zurückgetreten sind. Es gab fast permanent Zoff.

Der Rettungsassistent Thiel ist in Lebus ein unbeschriebenes Blatt. Den Orthopäden Mortag, der in Frankfurt (Oder) praktiziert und der sich in Lebus ein Häuschen baute, den kennt man hier - allerdings nicht als kommunalpolitisch beschlagenen Mann. Beide müssten sich mindestens ein halbes Jahr lang einarbeiten, so heißt es. Deshalb werden sie für ungeeignet gehalten.

Mortag verriet: »Kommunalpolitische Erfahrungen über das normale Maß eines Bürgers meiner Stadt hinaus habe ich nicht, aber damit auch nicht ein Einbahnstraßendenken.« Als Bürgermeister möchte er den Einwohnern das Gefühl geben, Teil der Stadt zu sein. »Es entstand in den letzten Jahren immer mehr der Eindruck, dass sich die Verwaltung stetig weiter von den Bürgern entfernte«, beklagte er. Es gelte, den Menschen zu zeigen, »dass sich die Verwaltung für ihre Interessen einsetzt und nicht nur in inneren Konflikten und Rivalitäten sich mit sich selbst beschäftigt.« Im Frühjahr 2019 gibt es im Land Brandenburg Kommunalwahlen. Dann werden alle ehrenamtlichen Bürgermeister durch die wahlberechtigten Einwohner der Städte und Gemeinden bestimmt. Thiel, Mortag oder wer auch immer müssten sich dieser Wahl stellen.

Es könnte sein, es ist sogar wahrscheinlich, dass die Stadtverordneten Thiel und Mortag durchfallen lassen, um die Entscheidung den Bürgern zu überlassen. Einstweilen würde der Parlamentsälteste Joachim Naumann (CDU) die Geschicke der rund 3000 Einwohner zählenden Kleinstadt lenken. Sollte Neumann sich anders entscheiden, könnte es aber auch dazu kommen, dass Frye sofort gegen Thiel und Mortag antritt.

Am 9. November hatte das Stadtparlament Frye bereits in geheimer Wahl mit zehn zu drei Stimmen zum Vizebürgermeister gekürt. Er wäre damit automatisch amtierender Bürgermeister gewesen - der erste AfD-Bürgermeister im Land Brandenburg. Für Frye votiert hatten offenbar auch Naumann von der CDU sowie die beiden parteilosen Stadtverordneten Michael Karcher und Michael Buchheim, die bei der Kommunalwahl 2014 für die LINKE angetreten waren. Aufgrund eines Verfahrensfehlers war Frye allerdings lediglich wenige Tage im Amt. Ein zweiter Anlauf am 23. Januar scheiterte, weil nur vier Stadtverordnete erschienen und das Parlament deshalb nicht beschlussfähig war. Auch der dritte Versuch am 25. Januar ging daneben. An diesem Tag sollte nicht wieder der neue Vizebürgermeister, sondern diesmal der neue Bürgermeister gewählt werden. Doch die Sitzung musste aufgrund eines dramatischen Schwächeanfalls des 72-jährigen Parlamentsältesten Naumann abgebrochen werden. Er wurde mit Blaulicht und Martinshorn ins Krankenhaus gebracht, hat sich aber, wie zu hören ist, mittlerweile erholt. Rettungsassistent Thiel, der sich überraschend und kurzfristig als Bürgermeisterkandidat gemeldet hatte, kam an dem Abend nicht mehr dazu, sich vorzustellen.

Während des Vorfalls gewannen Beobachter den Eindruck, dass Detlev Frye, der früher als Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion tätig war, der tonangebende Mann in der Lebuser Kommunalpolitik sei, der sich in Szene zu setzen wisse und bestimme, was gemacht werde. Er sprang bei Naumanns Schwächeanfall auf und verkündete, dass die Sitzung unterbrochen werden müsse, was freilich eine nötige und richtige Entscheidung war. Rundfunkmoderator beim rbb ist Frye auch mal gewesen, und am 25. Januar beschuldigte er einen ehemaligen Kollegen des Senders, dieser habe mit seiner Vorberichterstattung derartig Druck erzeugt, dass Naumann zusammengebrochen sei. Die Medienschelte klang sehr AfD-typisch. Ein Zuschauer machte hernach leise ausländerfeindliche Bemerkungen.

Allerdings wird in Lebus beteuert, Frye selbst sei hier nie mit fremdenfeindlichen oder anderen von der AfD gewohnten Äußerungen aufgefallen. Generell mache man in Lebus keine Politik nach Parteibuch. Andere Sorgen plagen. Besonders die Schuldenlast drückt, obwohl bereits die Ausgaben gekürzt worden sind. So sind drei bis dahin regelmäßige Volksfeste abgesagt worden.

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