Im Königreich von Jarosław
»Polska first«? Polnische und deutsche Autoren fragen nach dem Zustand der polnischen Republik
Der Anblick war bizarr, als am 7. Oktober 2017 Hunderttausende polnischer Männer, Frauen und Kinder entlang ihrer Landesgrenzen den Rosenkranz unter monotonem Murmeln des Vaterunser und des Ave Maria beteten. Die Botschaft dieser Manifestation: keine muslimischen Flüchtlinge nach Europa und schon gar nicht nach Polen hereinlassen.
Seit der Wahl der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Oktober 2015 mehren sich die besorgniserregenden Nachrichten aus unserem östlichen Nachbarland. Man denke nur an die umstrittene Justizreform mit der Ausschaltung der Kontrollinstanzen oder den Umbau der Staatsmedien, deren Nachrichtensendungen fatal an die Berichterstattung der »Aktuellen Kamera« zu DDR-Zeiten erinnern. Oder jüngst das Holocaust-Gesetz, das nach Verabschiedung im Parlament und Senat nun der polnische Präsident unterschrieb.
Wie konnte es so weit kommen? 15 polnische und deutsche Autorinnen und Autoren versuchen darauf Antworten zu finden. Der in Warschau lebende Politologe Klaus Bachmann spricht von einem Obrigkeitsstaat. Für ihn ist das politische Gleichgewicht im Lande gestört. Es gibt Wahlen, es gibt eine gewisse Meinungsfreiheit und eine Opposition, die sich im Parlament austoben kann. Aber diese komme nicht gegen den Apparat an. Bachmann schreibt: »Meine größte Befürchtung im Blick auf die weitere Entwicklung in Polen: nicht dass jemand hier eine Diktatur einführen will - sondern dass sie eingeführt wird, ohne dass es jemand will.« Konrad Schuller, Korrespondent der »FAZ« in Warschau gelang es, den »starken Mann« Polens, den Vorsitzenden der PiS, Jarosław Kaczyński, zu interviewen. Dieser outete sich unter anderem als ein Verehrer Macchiavellis. Dabei geht es nicht nur um Lüge und Täuschung im Sinne des italienischen Philosophen. Kaczyński verlangt unbedingte Hingabe an das auf Gott vertrauende Vaterland und unbeugsamen Widerstand gegen dessen Feinde. Der europäische Rechtsstaat, Genderpolitik und Multi-Kulti sind für ihn völlig unakzeptabel.
Jacek Dehnel wiederum, ein junger Schriftsteller und Maler, untersucht die Brutalisierung der Sprache im polnischen Alltag. Sie habe sich zunehmend verschärft seit dem Absturz der Regierungsmaschine am 10. April 2010 bei Smolensk, bei dem der Zwillingsbruder von Jarosław Kaczyński, der damalige Präsident Lech Kaczyński, zusammen mit allen anderen Insassen starb, die übrigens aus verschiedenen politischen Lagern stammten. Das furchtbare Unglück wird von offizieller Seite in Polen als feiges Attentat interpretiert. Dehnel ist der Meinung, dass es Kaczyński nicht nur um das Regieren der PiS schlechthin geht, sondern um seine Alleinherrschaft, die es ihm erlauben würde, grausame Rache an den »Mördern« seines Bruders zu üben.
Der Journalist Jan Pallokat hat sich unter Sympathisanten der regierenden Partei umgehört. Diese beteuerten ihm unisono, die PiS habe ihre Wahlversprechen sofort umgesetzt. Dazu gehören die Erhöhung des Kindergeldes, die Herabsetzung des Rentenalters sowie die kostenlose Medikamentenabgabe an Hochbetagte. Die PiS habe gegenüber den Vorgängerregierungen gezeigt, dass soziale Umverteilungen möglich sind. Auch finde die Bevölkerung im ländlichen Raum mehr Beachtung als früher. Pallokat registrierte zudem eine enttäuschte Liebe - des polnischen Volkes gegenüber dem Westen. Die Polen sind enttäuscht vom globalen Kapitalismus. Banken, Medien und große Wirtschaftsunternehmen befänden sich im Besitz ausländischen Kapitals. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich im eigenen Land nicht mehr zu Hause und durch die EU, insbesondere durch Brüssel und Berlin, fremdbestimmt. Sie hoffen nun auf eine »Repolonisierung«. Pallokat sieht die Gefahr einer weiteren Rechtsradikalisierung besonders unter der arbeitenden Jugend.
Es gibt aber auch Menschen in Polen, die sich nicht in ein national-konservatives, fremdenfeindliches Korsett einschnüren lassen, die ein weltoffenes Polen dem traditionellen vorziehen. Die junge Publizistin Kaja Puto erinnert an die Demonstrationen im Juli vergangenen Jahres gegen die undemokratische Justizreform und an den »Schwarzen Protest« der Frauen gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts. Hier hat sich gezeigt, das der linke und zentristische Flügel der Opposition einander brauchen. Die junge polnische Linke habe keine starke Partei an ihrer Seite. Sie sei hauptsächlich in Nichtregierungsorganisationen, in den Gewerkschaften, in den neuen Medien und an den Universitäten tätig und konzentriere sich auf konkrete Aktionen.
Optimistisch stimmende Lösungen der diffizilen polnischen Situation sind für die Autoren und Autorinnen dieses Band leider nicht in Sicht.
Andreas Rostek (Hg.): Polska first. Über die polnische Krise. Edition.fotoTAPETA, 235 S., br., 15 €.
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