»Das Leben war schön ...«
Coco Schumann ist tot
»Wer den Swing in sich hat, kann nicht im Gleichschritt marschieren«, sagte Coco Schumann 2015 im nd-Interview. Und erzählte mit verschmitztem Lächeln, wie er und seine Freunde trotz aller Hindernisse verbotene Musik im NS-Staat spielten. Sich gegenseitig mit »Heil Swing!« grüßten. Und die Männer der Reichsmusikkammer austricksten, die in Bars und Tanzlokale wie den Berliner »Groschenkeller« hineinplatzten, um über die Einhaltung des strikten Verdikts gegen »Niggermusik« zu wachen. Ein Gleichgesinnter stand stets an der Tür und pfiff, wenn die Spitzel kamen, »die komischerweise alle gleich gekleidet waren: Trenchcoat und Schlapphüte«. Ruckzuck verschwanden die Notenblätter, und es erklangen harmlose Schlager.
Der am 14. Mai 1924 in Berlin geborene Sohn einer Friseurin und eines Tapezierers lernt Gitarre und Schlagzeug autodidaktisch. Sein musikalisches Erweckungserlebnis erfährt er mit 13 Jahren, als er erstmals Ella Fitzgerald hört. Schon als junger Spund spielt er in beliebten Bands mit. »Bei uns waren viele Mampe.« So hieß ein Magenbitter, nach dem sich junge jüdische »Mischlinge« nannten.
Coco ist nach den Nürnberger Rassegesetzen ein »Geltungsjude«, da die Mutter Jüdin ist. Der »arische« Vater kann die Seinen einige Jahre schützen. Bis 1943. Da wird Coco als Jude enttarnt, obwohl er den gelben Stern nicht trägt, und obendrein als Swing-Musiker denunziert. Vom »Durchgangslager« in der Großen Hamburger Straße geht es nach Theresienstadt. Dort trifft er seine Großeltern. Kein freudiges Wiedersehen an diesem freudlosen, schrecklichen Ort. Kurz darauf werden die Großeltern nach Auschwitz deportiert.
Coco ist jetzt bei den »Ghetto Swingers«, die sich mit Genehmigung der SS gründen durften. Sie müssen den Schwarzuniformierten nach deren mörderischem Tagwerk zu Saufgelagen und Orgien aufspielen. Schließlich muss Coco auch im verlogenen Propagandafilm »Der Führer schenkt den Juden eine Stadt« mitmimen. Jahrzehnte später hängt er sich ein Szenenbild aus dem üblen Streifen, das ihn am Schlagzeug zeigt, in die gute Stube. Mit den »Ghetto Swingers« wird er im Januar 1944 nach Auschwitz deportiert. Bei der Ankunft neuer Transporte soll ihre Musik die Todgeweihten beschwichtigen. Und sie müssen auch wieder musizieren, wenn die SS ihre Mordstatistik feiert. Im Januar ’45 geht es für Coco erneut »auf Transport«. Beim Todesmarsch gen Innsbruck wird er von der US Army befreit.
Coco kehrt in seine Heimatstadt zurück, in deren Westteil, spielt in diversen Tanz-, Radio- und Fernsehbands, gründet sein eigenes Quartett, wird eine lebende Legende, schreibt 1997 (»Vorher hat sich ja niemand interessiert«) seine Autobiografie und klärt auf über die Nazibarbarei. »Das Leben war trotzdem schön«, sagte er dem »nd«. »Wenn ich meine Musik spielen konnte.« Coco Schumann starb am Sonntag.
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