- Berlin
- Konferenz zur Wohnungslosenhilfe
Konturen einer sozialen Stadt
Die erste Konferenz zur Wohnungslosenhilfe hat nach Strategien gesucht, um die Not einzudämmen
Als die Polizei im Oktober ein wildes Zeltlager von Obdachlosen im Tiergarten räumte, war die Empörung groß. Eine »Rambo-Aktion« sei das gewesen, schimpfte Caritas-Chefin Ulrike Kostka. Die Taskforce - bestehend aus drei Senatsverwaltungen, den Bezirken Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf sowie der Polizei - habe ihren Handlungswillen mit Gewalt unter Beweis gestellt. Kostka sah darin vor allem eines: »naiven Aktionismus« - ohne Lösungsansätze. Sie forderte nach der Räumung ein Strategieforum, an dem die ganze Stadt teilnehmen sollte. Also Senat und Bezirke, Wohlfahrtsverbände und Forschung.
Eine solche Konferenz fand am Mittwoch in der Alten Feuerwache in Kreuzberg statt. Es war ein Treffen mit 200 Teilnehmern, das vor allem dem Austausch diente, konkrete Ergebnisse gab es am Ende nur wenige zu verkünden. Im Seminarraum, in dem die Abschlussstatements gehalten wurden, herrschte noch immer eine Diskussionsatmosphäre. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE) erklärte dabei die Linie des Senats und der Bezirke zum Vorgehen mit Wohnungslosen: »Wenn die Obdachlosen auf der Bank liegen, werden sie nicht vertrieben. Aber Übernachtungen im Zelt sind verboten.« Es müsse jedoch Strukturen geben, um den Betroffenen sofort Hilfe anbieten zu können. Einigkeit herrschte unter allen Konferenzteilnehmern darüber, eine solche Unterstützung auszubauen.
Dringender Bedarf an Wohnraum
Das dürfte jedoch nicht leicht werden. Händeringend wird schon jetzt nach Wohnraum für Bedürftige gesucht. Ephraim Gothe (SPD), Baustadtrat aus Mitte, berichtete darüber, wie schwer es für den Bezirk sei, an private Vermieter heranzutreten. Nur in Einzelfällen gelinge es, für Bedürftige eine Wohnung auf dem freien Markt zu bekommen. Barbara Eschen, Chefin des Diakonischen Werks, begrüßte daher das Vorhaben des Senats, die städtischen Wohnungsgesellschaften zu stärken. Der Bestand soll in den kommenden zehn Jahren auf 400 000 Wohnungen aufgestockt werden. Eschen hält es für wichtig, dass dort auch Sozialwohnungen geschaffen werden.
Um zügig an Wohnraum zu kommen, schlug Breitenbach auch modulare Unterkünfte vor. »Wir haben sicher einen Bedarf an 30 solcher Unterkünfte«, so die Senatorin. Ein solcher Leichtbau würde Platz für 250 bis 400 Personen schaffen. Mit steigenden Flüchtlingszahlen hatte der Senat entsprechende modulare Unterkünfte für Geflüchtete in Auftrag gegeben. Diese sind in den ersten drei Jahren für Geflüchtete reserviert, anschließend wäre eine Umnutzung möglich. Eschen sieht darin zwar lediglich eine Übergangslösung. Aber die sei besser, als keine Hilfe zu leisten.
Keine Statistik zur Wohnungsnot
Unklar ist bislang, wie viele Menschen in Berlin konkret von Wohnungslosigkeit betroffen sind. Die mehreren Tausend sichtbaren Obdachlosen dürften nur die Spitze des Elends sein. Aktuell wird von rund 30 000 Personen ausgegangen, die wohnungslos sind. Hinzu kommen Menschen, die auf der Couch bei Bekannten schlafen.
Jede dritte wohnungslose Person ist weiblich, so die Annahme. Auch Alleinerziehende und ganze Familien befinden sich in akuten Notlagen, das ist bekannt. In welcher Größenordnung dies jedoch der Fall ist, kann bislang nur vermutet werden. Zahlen darüber gibt es nicht, erklärte die Armutsforscherin Susanne Gerull von der Alice-Salomon-Hochschule. Statistiken wären aber hilfreich, so der Tenor der Konferenzteilnehmer, um effiziente Hilfe leisten zu können. Eine Arbeitsgruppe wird daher eine solche Zählung vorbereiten, die Gerull für 2019 in Aussicht stellte.
Im Herbst sollen die Konferenzteilnehmer ein weiteres Mal zusammenkommen. Für Senatorin Breitenbach steht fest, dass es nicht das große Rad gibt, an dem gedreht werden müsse, um Wohnungslosigkeit zu reduzieren. »Vielmehr sind es viele kleine Schräubchen, an denen wir drehen müssen.«
Kritik an dem Vorgehen kam nicht aus dem Seminarraum. Dort herrschte weitgehend Einigkeit, die Unterstützung für Wohnungslose schrittweise auszubauen. Misstöne kamen vielmehr von der Opposition im Abgeordnetenhaus. Maik Penn, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, hält die Konferenz für »planlos«. Er verwies auf eine zunehmende Problematik mit osteuropäischen Obdachlosen, für die der Senat bislang keine Lösungen parat habe.
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