Perfekt geht nicht

Zum Rückrundenauftakt der Bundesliga sollen die Schiedsrichter gestärkt werden: Eine erste Analyse zum Videobeweis im deutschen Fußball

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.

Intensiv wie nie sei das mittlerweile obligatorische Wintertrainingslager der DFL-Schiedsrichter auf Mallorca verlaufen, verkündete am Donnerstag der Deutsche Fußball-Bund. Von morgens früh um acht bis abends spät um zehn hätten 24 Bundesligareferees »inhaltlich gearbeitet«, wie der zuständige DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann versicherte und explizit das »Bier an der Bar« in den Akkordbetrieb nicht einbezog.

Schulungs- und Redebedarf waren ja auch so groß wie nie, seitdem nicht nur die Einführung des Videoassistenten neue Herausforderungen gestellt hatte, sondern auch herauskam, dass die deutsche Schiedsrichtergilde in Machtspielchen und Eifersüchteleien gefangen war. Und so waren auch zwei Sportpsychologen auf der Baleareninsel dabei, um die zerstrittenen Lager wieder zu einen.

Während der Leiter der Eliteschiedsrichter, Lutz Michael Fröhlich, über die interne Aufarbeitung nur die vage Angabe machen wollte, dass ein »positiver Prozess in Gang gesetzt« worden sei, ging es ihm zum Rückrundenstart vor allem darum, beim umstrittenen Videobeweis eine nachhaltige Besserung zu versprechen: »Ein offensichtlicher Fehler ist auf dem Replaymaterial leicht zu identifizieren. Je mehr Perspektiven gesichtet werden müssen, desto eher handelt es sich nicht um einen klaren Fehler.« Der Schiedsrichter solle sich wieder »stärker als Spielleiter« positionieren. »Wir sind zu deutsch gewesen«, bekannte Zimmermann in der Rückschau. Das Streben nach Perfektion an der Pfeife habe falsche Erwartungen geschürt, die »in einer Testphase unter dem Brennglas der Öffentlichkeit« gar nicht hätten erfüllt werden können.

Für die größte Aufregung sorgte ein ärgerlicher »Elferpool«, bei dem eilfertige Helfer aus der Kölner Zentrale eine falsche Entscheidung fällten. Von den Videoassistenten wurden 50 Empfehlungen zur sogenannten Entscheidungsumkehr ausgesprochen: 48 Mal änderte der Unparteiische deshalb seinen Entschluss, elf Mal entpuppte sich das als Fehler.

Fröhlich erklärte, dass in der Hinrunde 1041 Situationen überprüft worden seien, aber nur in 241 Fällen hätten Schiedsrichter und Videoassistent kommuniziert. Letzterer griff nur in jede dritte Partie korrigierend ein, und auch die Spielzeit erhöhte sich im Schnitt um nur eine Minute.

»Das Glas ist drei viertel voll«, meinte der bei der Deutschen Fußball Liga zuständige Direktor Ansgar Schwenken, »denn wir haben drei Viertel der Fehlentscheidungen verhindert.« Es wären noch mehr gewesen, wenn jeder Videoassistent seine Aufgabe so wie der nur noch in Köln eingesetzte ehemalige Erstligareferee Jochen Drees wahrgenommen hätte, der festgestellt hat: »Nicht jeder gute Schiedsrichter ist ein guter Videoassistent.« In Zukunft eigene Spezialisten auszubilden, die sich uneigennützig auf ihre Helferrolle beschränken, wäre überlegenswert. »Wir wollen keine Videoassistenten, die detektivisch tätig werden«, betonte Fröhlich.

Gearbeitet werden müsse an der Transparenz, beteuerte Schwenken. Es sei aber keine Lösung, die Szenen für den Stadionbesucher einzuspielen, dafür fehlten die technischen Voraussetzungen. Es werde aber nachgedacht, eine Erklärung in Textform auf die Anzeigentafel zu bringen.

Gemischte Meinungen herrschen vor, was eine Einführung des Videobeweises für die WM 2018 angeht. Die Regelhüter beim International Football Association Board wollen Anfang März eine Grundsatzentscheidung treffen. »Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass der Videobeweis ein fester Bestandteil des Fußballs bleibt«, glaubt Drees. Fröhlich ist nicht hundertprozentig überzeugt, dass die Zeit für den Einsatz bei solch einem Turnier reif ist. Generell abraten wollten die deutschen Verbandsvertreter ob befürchteter Kommunikationsschwierigkeiten und Schulungsprobleme zwar nicht, aber die ironische Einlassung von Schwenken sprach Bände: »Ich würde der FIFA raten, nur deutsche Schiedsrichter einzusetzen.«

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