- Kultur
- »Die Frauen von Troja«
Porträt einer Deportation
»Die Frauen von Troja« von Euripides und Walter Jens am Theater Pforzheim
Jeder Mensch ist Neuling in seinem Zeitalter, aber zugleich Teil einer verdammten Gemeinde, die auf Kontinuität verpflichtet scheint: Krieg, Frieden, Krieg. Geschichte bleibt wandernde Reizbarkeit von Konflikt zu Konflikt. Auch jeder Rückblick auf die griechische Antike ist Aufhilfe zur mahnenden Ernüchterung: In jedem Anfang, auch wenn er von Göttern gesegnet sei, wird schon das Ende geboren; alle Zeit ist heute.
»Die Frauen von Troja - Der Untergang« heißt der Abend am Theater Pforzheim - Euripides, übertragen von Walter Jens, inszeniert von Hannes Hametner (Bühne: Giovanni de Paulis). Es ist das Porträt einer bevorstehenden Deportation. Die Griechen triumphierten über Troja, die Ohnmacht der Opfer trifft nun auf die Selektionsmotorik der Sieger. Trojas Frauen klagen, und Hekabe, die Königin, klagt an. Denn ihre Tochter Kassandra wird Besitz von Agamemnon, Andromache soll an den Sohn von Achill gehen, und Hekabe selbst gehört Odysseus. Sklavinnenmarkt. Bettenbasar. Trojas hohe Frauen: nun gleichsam Nutten-Nomenklatura.
Der Abend ist Sprache, Weh, Schrei. Konstanze Fischers Kassandra balanciert bebend zwischen befreiendem Wahn, schon nicht mehr von dieser Welt zu sein, und einer folternden Gewissheit, wohin das alles führt - auch zum Untergang der jetzigen Sieger. Mira Hubers Andromache wird mit ihrem Kind in den Tod springen - bereits ihren schmerzenden Ankündigungen wohnt inne, was der Bote später erzählen wird: Dies Stürzen als ein Flug in jenes Höhere, das von irdischer Niedertracht nicht mehr angetastet werden kann. Diese Frauen und der von Heidrun Schweda geführte Chor der gefangenen Troerinnen (es sind Bürgerinnen aus Pforzheim) - sie beeindrucken durch Kraft: Da ist Würde ohne jede Erwartung; da ist Wissen um eine Frist, in der nichts mehr zu tun ist; da sind Verharren und Vertriebenwerden in einem Raum vereint.
Susanne Schäfer ist als Hekabe das Zentrum. Das Zentrum, das sich mitunter nur mühsam am Stufengestänge der Seitenbühne halten kann. Als sei die Nähe zum Theaterausgang schon ein Versprechen, aus dieser Ordnung verschwinden zu können. Während das Blutbündel, Andromaches Baby, auf der Bühne liegt und der Freitod der Mutter berichtet wird. Schäfer meißelt sprachliche Konturen. Sie gibt einen Menschen, der im tiefsten Schrecken einen zitternden Zorn entwickelt. Sie spielt aber auch, wie der Hass, etwas zu richten, zum Selbsthass wird: Du kannst dir nicht verzeihen, selber aus jener Welt gekommen zu sein, die du am liebsten niederreißen würdest. Eine Welt, in der nur Zertrümmerung ein Gefühl von Macht gibt - und diese Macht umschmeichelt in uns irgendetwas, das trüb und ursprünglich ist. Das Alphabet des Schreckens kennt nur das B, das nach dem A gesagt werden will. Danach kommt das Schweigen, diese Hymne der Toten, die alle Sprachen aufhebt. In dieses Schweigen dröhnt, prasselt, knallt, hämmert immer wieder die Percussion von Jürgen Grözinger.
Wenn das Publikum nach der Pause wieder Platz nimmt, mischt sich ein gallerter Herr mit Sektglas zwischen die Zuschauer, bietet lächelnd Handschlag an, stellt sich vor: Menelaos, König des griechischen Sparta. Das ist sie, die aufdringliche Smartheit jener Allparteienpolitiker, die darauf stolz sind, schon zu frühester Stunde im ARD-Morgenmagazin fröhlich und geglättet zu erscheinen, aufgeräumt im wahren schlimmen Sinn des Wortes. Gesichtsphrasen, modelliert aus Pappmaché und Kunststoff. Lars Fabian gibt diesen Menelaos auch als einen kalten Exekutor, der seine untreue Helena strafen wird - aber in der Begegnung mit ihr noch einmal der lächerliche, fiebrig geile Umgarnte ist. Sophie Lochmann als Helena: im hautengen Kleid oder ohne - um ihr Leben fleht sie mit einem geschmeidigem Raffinement, das sich immer wieder energisch durch Schübe von Panik kämpft.
Hametners sprachkräftige Inszenierung hat ihren kundigen Moderator: Meeresgott Poseidon. Jens Peter gibt ihn mit Glatze, im roten Tüllrock. Ein clownesker Kommentator: Sieger sollten sich nicht einbilden, »man könne Städte niederbrennen, ohne selbst zugrund zu gehen«. Er wirkt wie der letztverbliebene Animateur eines von Göttern leergeräumten Himmels. Leergeräumt vom Menschen, der sich lieber Teufeln verschreibt - in der Hölle, die er selber ist. Poseidon lacht sich dreckig von der Szene, und Hekuba begreift, dass auch der innigst gerechtfertigte Gedanke an Rache und Vergeltung Teil des Verderbens ist. Das bleibt die politische, geschichtliche Krux: Im Krieg der Zwecke verbünden sich die Mittel, seit jeher. Links wie rechts, oben wie unten.
Die mythische Orientierung in dieser Inszenierung führt über Wege sehr gegenwärtigen Schmutzes: Das trojanische Pferd ist ein Militärfahrzeug, ein Airport-Schild trägt arabische Schriftzeichen, die drei Boten widerspiegeln Soldateska zwischen Tarnanzug und Paradeuniform. Die Fußtritte der Handlanger, das Brüllen der Leisetreter. Markus Löchner, Jens Peter, Bernhard Meindl spielen verkörperte Volksniederschule: Trag deine Haut rasend schnell zum Markt, wo sie mit allen Wassern gewaschen wird - aber lass abperlen, was dir unter die Haut will.
Die Inszenierung drückt die Frauen zu Boden und lässt Wind fauchen. Die Vorahnung des Todes: zu Kreuze kriechen zu müssen. Der blutbeschmierte Oberkörper des Schlächters bildet mit den schönen Linien des Weiblichen - auch wenn es die Schlange Helena ist - die Unteilbarkeit der Welt. Und der Pelzmantel der leidenden Königin durchlebt seinen Abstieg: zur letzten Wärmedecke bei der Verschleppung. Dazu der Frisurenkahlschlag: Das Lager, dieser Aufenthaltsort des zur unbelehrbaren Moderne verurteilten Menschen, zeigt seine zeitlose Mode. So zieht sich durch die Aufführung eine ästhetische Passion der Zerkühlung. Hoffnung? Eine Spur des Spärlichen, die aber irgendwohin verwehte. Am Ende wird die Bühne sehr dunkel sein. Damit man das Feuer in der Mitte des Platzes lodern sieht. Was brennt da? Stadt, Welt. Zukunft?
Nächste Vorstellungen am 3. und 19.1.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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