Asylbewerber musizieren im Offizierskasino
Das Land hat in der Erstaufnahme für Flüchtlinge viele freie Kapazitäten, sollte sie aber nicht vorschnell abbauen
Bei muslimischen Frauen hat der Arzt Michael Tanneberger zuweilen ein Problem, wenn sie mit bestimmten Beschwerden zu ihm kommen. »Einen Scheidenpilz zeigen sie mir nicht.« Manchmal wollen die Frauen vor dem fremden Mann zunächst nicht einmal den Arm frei machen, um sich impfen zu lassen. Doch dann sehen sie ein: Wenn sie Hilfe benötigen, müssen sie dem Arzt vertrauen. Das sind so die Besonderheiten in der Ambulanz auf dem Gelände der Erstaufnahme für Flüchtlinge in Doberlug-Kirchhain. Doch wenn man sich an die Mentalität der Fremden gewöhnt habe, »dann merkt man, das sind auch nur Menschen«, sagt der 43-jährige Tanneberger. Im Prinzip sei die Arbeit hier nicht anders als in einer gewöhnlichen Hausarztpraxis.
Für knapp 1000 Bewohner ist Platz in der ehemaligen Lausitzkaserne an der Torgauer Straße. 549 Plätze sind am Donnerstag belegt, als ein Bus mit etwa 50 weiteren Flüchtlingen eintrifft. Die Kaserne ist eine von drei Außenstellen der Flüchtlingserstaufnahmestelle des Landes in Eisenhüttenstadt. Es gibt auch Außenstellen in Wünsdorf und in Frankfurt (Oder). Insgesamt hat die Erstaufnahme Kapazitäten für 3300 Flüchtlinge, die registriert und untersucht werden, bevor sie auf die Kommunen verteilt werden. Ausgelastet ist die Erstaufnahme lange nicht. Lediglich 1500 Flüchtlinge leben dort im Moment. Denn seit die Balkanroute geschlossen ist, kommen pro Monat nur noch 350 bis 450 Flüchtlinge in Brandenburg an, erläutert Ausländerbehördenchef Frank Nürnberger. Weil man nicht so genau wissen könne, sei es allerdings besser, einen Puffer zu haben, falls wieder andere Zeiten kommen. Das Innenministerium will ein Konzept erarbeiten, welche Kapazitäten und welche Außenstellen langfristig gebraucht werden. Staatssekretärin Katrin Lange (SPD) besucht am Donnerstag erstmals die Filiale in Doberlug-Kirchhain und lässt sich von Objektleiter Theo Ripplinger herumführen. Die Bedingungen hier seien ideal, lobt Lange. Das werde in die konzeptionellen Überlegungen einfließen, verspricht sie.
Immerhin gab es in Eisenhüttenstadt und in Doberlug-Kirchhain zeitweise provisorische Zeltstädte für die Flüchtlinge. Es wäre unklug, die inzwischen hergerichteten Häuser mit Blick auf die Kosten voreilig aufzugeben und sich dann irgendwann im Krisenfall wieder mit Zelten behelfen zu müssen. Die Unterbringung in Doberlug-Kirchhain kann im gegenwärtigen Zustand als menschenwürdig beurteilt werden. Es gibt sogar mit dem ehemaligen Offizierskasino ein kleines Freizeitzentrum. Im Saal werden einmal in der Woche Filme gezeigt, was besonders die Kinder begeistert. Es wurden auch extra ein Flügel und Gitarren angeschafft, damit diejenigen Flüchtlinge, die ein Instrument spielen, ihren Mitbewohnern Konzerte geben können. Das gibt es immer wieder, sagt Objektleiter Ripplinger. Damit nicht genug. Im Erdgeschoss wird Billard gespielt, am Computer etwas nachgeschaut oder einfach auf der Couch beisammengesessen. Oben befindet sich eine Kita, in der die Kleinen Spaß haben. Ein paar größere Kinder singen im Chor: »Leise rieselt der Schnee.«
Zwei Betreuer sind vor zwei Jahren selbst als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und absolvieren nun eine Ausbildung zum Erzieher. Die Aufgabe macht ihnen viel Freude, schwärmen sie.
In der etwas nördlich gelegenen Holzwerkstatt entstehen Möbel und Basteleien für den Eigenbedarf. Falls die Asylbewerber zurück in ihre Heimat müssen, können sie wenigstens etwas mitnehmen, meint Betreuer Robert Schulze und denkt dabei auch an erlernte Fertigkeiten. »Ich brauche Arbeit«, erklärt freundlich ein junger Asylbewerber aus Libyen, warum er sich in der Werkstatt betätigt. Vier Monate lebt er jetzt hier. Nebenan reparieren zwei Landsleute ein Fahrrad. 40 Fahrräder stehen zum Verleih zur Verfügung.
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