Kratzer im Schaufenster

Mecklenburg-Vorpommerns Tourismusbranche verdient unterdurchschnittlich - warum?

  • Martina Rathke, Greifswald
  • Lesedauer: 4 Min.

In Mecklenburg-Vorpommern verdient das Gastgewerbe Berechnungen zufolge pro Gast im bundesweiten Vergleich offenbar wenig Geld. Mit 37,29 Euro je Übernachtung werde im Nordosten die geringste Bruttowertschöpfung im Gastgewerbe erzielt. Die Bruttowertschöpfung gibt den Gesamtwert aller produzierten Waren und Dienstleistungen - etwa der Leistung des Kellners - an, abzüglich der sogenannten Vorleistungen.

Ursachen für die niedrige Bruttowertschöpfung im Nordosten seien unter anderem die niedrige Entlohnung, Qualitätsdefizite und die Struktur der Übernachtungen, sagte der Greifswalder Wirtschaftsgeograf Helmut Klüter. In Nordosten übernachteten im Vergleich zu anderen Bundesländern überdurchschnittlich viele Menschen auf Campingplätzen sowie in Ferienhäusern und Ferienwohnungen. Campingplatztouristen seien weit weniger wertschöpfungsintensiv als Hotelgäste, die einen großen Teil weiterer Dienstleistungen im Hotel kauften. Klüter legt für seine Berechnung die für alle Länder statistisch erhobene Bruttowertschöpfung im Gastgewerbe zugrunde und setzt sie mit den Gästeübernachtungen in Beziehung. Sie betrug 2015 für Mecklenburg-Vorpommern etwa rund 1,22 Milliarden Euro. Als Basis für den Vergleich setzt der Forscher die Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder (VGRdL) von 2013 an. Demnach betrug der deutsche Durchschnitt der Wertschöpfung pro Übernachtung 90,43 Euro. Am meisten verdiente das Gastgewerbe in Bremen mit 152 Euro pro Gästeübernachtung. Grund seien der überdurchschnittlich hohe Hotelanteil und die zahlreichen Restaurants, die in großen Städten auch von vielen Einheimischen besucht werden.

Dem Wirtschaftsministerium liegen keine Zahlen vor, die die Wertschöpfung pro Gästeübernachtung beziffern. Ein Vergleich zu anderen Bundesländern sei aufgrund der unterschiedlichen angewandten Methoden nicht sinnvoll durchführbar, sagte ein Sprecher. Laut Ministerium beträgt die touristische Wertschöpfung, die auch Querschnittseinnahmen durch Touristen im Handel oder Verkehr einschließen, mit 4,1 Milliarden Euro rund zwölf Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung im Nordosten. Allein 3,3 Milliarden Euro würden durch Beherbergung, Besuche von Restaurants und Freizeiteinrichtungen eingenommen, 760 Millionen Euro durch tourismusnahe Unternehmen wie beispielsweise Wäschereien.

Eine Studie des Ministeriums zum Ferienwohnungsmarkt von 2013 setzt die Tagesausgaben pro Gast bei 68 Euro an. Dennoch sieht auch das Ministerium Handlungsbedarf. Künftig müsse qualitatives vor quantitativem Wachstum stehen und mehr Wertschöpfung pro Gast erreicht werden, hieß es aus dem Ministerium.

Als Problem für Mecklenburg-Vorpommern sieht Klüter, dass Gewinne häufig in andere Regionen abflössen, weil die Betreiber von Hotels und Ferienanlagen dort steuerlich veranlagt seien. »In Binz gibt es beispielsweise nur noch drei einheimische Hoteliers in der ersten Reihe an der Promenade.« Alle anderen Häuser seien in westdeutscher, ausländischer oder Berliner Hand. Durch das Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung« seien viele Hotels und Restaurants in den Ortskernen der Seebäder an Westdeutsche gefallen.

Einen weiteren Grund für die vergleichsweise niedrige Wertschöpfung sieht der Wirtschaftsgeograf darin, dass es in Mecklenburg-Vorpommern kaum Unternehmen gebe, die Restaurant- und Hotelausstattungen produzierten. So müssten diese Vorleistungen in anderen Bundesländern eingekauft werden. Hinzu komme der schwache Ausländertourismus.

Dennoch habe der Tourismus in im Nordosten eine wichtige »Schaufensterfunktion« für die übrige Wirtschaft, sagte Klüter. Seit 2013 sei Mecklenburg-Vorpommern nicht zuletzt wegen seiner hohen Wohn- und Freizeitattraktivität für die deutsche Bevölkerung ein Zuwanderungsland. »Viele Gäste erkennen den hohen Wohnwert des Landes und verlegen ihren Wohnsitz nach Mecklenburg-Vorpommern.« Das Zuwanderungswachstum, so Klüter weiter, habe inzwischen mehr als die Hälfte der Gemeinden erfasst. Damit werde die jahrzehntelang auf Schrumpfung und Infrastrukturrückbau fixierte Landesplanung vor erhebliche Herausforderungen gestellt.

Größten Handlungsbedarf gibt es in der Hochburg des Tourismus, in Vorpommern. Vor allem auf Rügen, Usedom und Fischland-Darß-Zingst könne die Straßen- und Schieneninfrastruktur mit der touristischen Entwicklung nicht mithalten.

Die Kenngröße »touristische Wertschöpfung«, die das Land mit 4,1 Milliarden Euro beziffert, bezeichnete Klüter als »ziemlich subjektiv zusammengesetzten Eintopf«, weil sie viel Interpretationsraum zulasse. Aber selbst diese Zahlen des Landes zeigten die Probleme: Wenn die touristische Wertschöpfung zwölf Prozent der Gesamtwertschöpfung betrage und von 17,8 Prozent der Erwerbstätigen erzeugt werde, heiße das, dass die Beschäftigten im Tourismus ziemlich schlecht bezahlt werden. dpa/nd

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